Ganztagesschulen – wer mit wem und wie?

Viele professionelle Hintergründe, ein Team – geht das zusammen? An Ganztagesschulen (GTS) ist das Miteinander entscheidend. Zwei deutsche Forscherinnen diskutierten an ihrem Gastvortrag an der PHBern mit dem Publikum über ihre Erkenntnisse und die hiesigen Bedürfnisse.
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Das Projekt der beiden Gastrednerinnen Natalie Fischer und Johanna Valentin heisst "MuTiG – Multiprofessionelle Teams in Ganztagesschulen". Es wurde an der Universität Kassel als Projektseminar mit Studierenden der pädagogischen Hochschule und Studierenden der Sozialen Arbeit durchgeführt. Im Projekt ging es darum, die Integration von multiprofessionellen Teams in Ganztagesschulen zu fördern. Durch Seminare konnten Studierende ihr Verständnis für andere Berufsgruppen schärfen. Die Erkenntnisse sprechen für sich: Nach den Seminaren hatte sich die Einstellung der Studierenden zur multiprofessionellen Kooperation verändert. Ausserdem ist es vorteilhaft, wenn eine solche Kooperation bereits in der Ausbildung thematisiert und verankert wird. 

Denn: Gelingt die Kooperation an Ganztagesschulen, entlastet sie Lehrpersonen, Betreuungspersonen und pädagogisches Personal bei ihrer Arbeit. Alle Akteurinnen und Akteure in der Schule fühlen sich wohler und Schülerinnen und Schüler können besser gefördert werden. Arbeiten alle gut zusammen, stärkt dies ausserdem das gegenseitige Vertrauen in den Teams. Das wiederum sorgt für Entlastung, und die vielen Berufskompetenzen bereichern das gesamte Team.

Voraussetzung und Hindernisse

Nebst einem Vertrauensverhältnis braucht es noch mehr. Die Kooperation gelingt dann, wenn Rollen, Aufgaben und vor allem die gemeinsamen Ziele klar definiert sind. Aber auch eine positive Haltung zur Kooperation allgemein ist Voraussetzung. Woran es manchmal laut den Forschungserkenntnissen hapert, sind fehlende Zeit, fehlende Kontinuität des Personals, verschiedene und unklare Rollen- und Aufgabenverständnisse und ein Mangel an ausgebildetem Personal. 

Ganztagesschule kurz erklärt

Unter dem Begriff Ganztagesschulen (GTS) werden im Kanton Bern öffentliche Schulen verstanden,  die an mindestens drei Tagen in der Woche ein ganztägiges, verpflichtendes (gebundenes) Nachmittagsangebot für Schülerinnen und Schüler haben. Betreuungs- und Lehrpersonen arbeiten in einem Team zusammen. Die Kinder und Jugendlichen werden in altersübergreifenden Klassen von fixen Teams begleitet.

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Und im Kanton Bern?

Die Forschungserkenntnisse aus Deutschland stimmen mit der Forschung an Berner Ganztagesschulen überein. Für den Kanton Bern stellt sich die Frage, inwiefern Ganztagesschulen ein Modell der Zukunft sein werden. Bis anhin sind vor allem urbane Gemeinden an diesem Modell der Verknüpfung von Bildung und Betreuung interessiert. In der Diskussion nach dem Vortrag ging es den Anwesenden um eine bessere Vorbereitung auf die Anforderungen der Arbeit von Lehr- und Betreuungspersonen in Ganztagesschulen. Einer der Teilnehmer war Clemens Reister. Er ist Tagesschulleiter von Kirchlindach und Herrenschwanden. Er arbeitet eng mit der Schulleitung und den Standortleitenden der Schulhäuser zusammen. Dabei ist der tägliche Informationsfluss bei kurzfristigen Anpassungen zentral. Ebenso unabdingbar sind gemeinsame Sitzungen für eine gemeinsame Planung von Aktivitäten und Anlässen. 

Clemens Reister, welche spannenden Impulse zu multiprofessioneller Kooperation haben Sie aus dem Gastvortrag mitgenommen? 
Clemens Reister: Grundsätzlich ist eine multiprofessionelle Zusammenarbeit Voraussetzung für den Erfolg einer Ganztagesschule oder einer Tagesschule wie in meinem Fall. Ein Satz ist mir geblieben: "Kooperation ist ein Merkmal für Schulqualität." Das heisst für mich: Qualität spricht sich herum und bindet kompetente Mitarbeitende langfristig. Es ist schwierig, generelle Handlungsempfehlungen schweizweit abzuleiten, da vor allem der Tagesschulbereich auf kommunaler Ebene sehr unterschiedlich geregelt ist. Ich sehe hingegen den individuellen Handlungsspielraum durchaus auch als ein Qualitätsmerkmal.

Was sind die Herausforderungen, wenn verschiedene Fachkräfte so eng zusammenarbeiten? Und wie gehen Sie damit um?
Ich stelle fest, dass das gegenseitige Verständnis für Arbeitsinhalte, Haltungen, Erziehungsstile usw. immer wieder gefördert werden muss. Zwingende Voraussetzung dafür ist eine intrinsische Motivation, dieses Verständnis wachsen zu lassen. Dafür braucht es regelmässige Aufklärungsarbeit. Gleichzeitig muss eine Offenheit und Kompromissbereitschaft, auch heikle Themen ansprechen zu können, zwingend vorhanden sein. Schwierig wird es meistens, wenn es um Zeitmanagement geht. Es sind sehr wenig Ressourcen vorhanden. Die Finanzierung dieser Ressourcen wird nicht immer als absolutes Muss für einen reibungslosen Ablauf oder die Arbeitszufriedenheit gesehen, das sollte es aber. 

Welche zukünftige Entwicklung der multiprofessionellen Kooperation sehen Sie an Ihrer Tagesschule?
Ich sehe für unsere Gemeinden eine Annäherung an eine Ganztagesschule. Das System der GTS für kleinere Gemeinden kann meiner Meinung nach jedoch nicht 1:1 übernommen werden, ausser es werden die unbedingt notwendigen Ressourcen gesprochen. 

Das aktuelle Projekt VisionB2 der PHBern untersucht, welche Visionen aus Sicht der Gemeinde für den weiteren Ausbau des Betreuungsangebots im Vordergrund stehen. Falls das Betreuungsangebot in den Gemeinden weiter ausgebaut wird, müssen auch verschiedene Arten der multiprofessionellen Kooperation in den Vordergrund rücken – insbesondere, wenn Formen der Ganztagesschule umgesetzt werden sollen. In Zukunft müssten auch Studierende der PHBern darauf sensibilisiert werden, was es bedeutet, in einer Ganztagessschule zu arbeiten und welche professionellen Ansprüche dies an die Zusammenarbeit mit sich bringt. Im Rahmen von Pilotprojekten könnten ähnliche Seminare wie in Kassel für Studierende der PHBern entwickelt werden.