Den Auftakt von insgesamt vier Schulstunden, die im Kontext der Ausstellung stattfinden, bildete am 21. August 2019 eine historische Schulstunde mit der Lehrgotte Esther Scheuner vom Schulmuseum Bern.
Mit dem Bogenschützensaal 2 im Berner Generationenhaus betreten die Besuchenden eine andere Welt, nämlich ein Schulzimmer aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, ausgestattet mit alten Pulten, Schiefertafeln und Schulwandbildern. Begrüsst werden sie von der Lehrgotte im sittlich knöchellangen schwarzen Kleid mit weisser Schürze, welche die Besuchenden zum Schutz der Kleidung mit einer Schürze ausstattet. Sie schlüpfen in die ebenfalls bereitgelegten Ärmelschoner und damit in die Rolle von Schulkindern vor rund 100 Jahren.
Nach der ordnungsgemässen Begrüssung der Lehrperson dürfen sich die Kinder in die Bänke setzen. Die Stunde beginnt mit dem Lernen eines kurzen Verses aus einem Gedicht von Güll, der wiederholt im Chor gesprochen wird.
Nun, wohlan, so will ich heut'
Lernen, dass es eine Freud',
Dass es eine Lust soll sein,
Bis der Abend bricht herein.
Ebenfalls im Chor lernen die Kinder erste Buchstaben der alten Kurrentschrift, auf welche die Lehrerin mit dem Rohrstock zeigt: "Das ist ein i. Das ist ein n… ." In den Pulten liegen Schiefertafeln und Griffel bereit, mit denen die Kinder die Buchstaben (schön!) schreiben sollen. Ihre Übungen werden begleitet durch das Quietschen des Materials. Kinder, die mit der "falschen" Hand schreiben, werden angehalten, den Griffel in die rechte Hand zu nehmen und die linke Hand auf den Rücken zu wenden.
Und schliesslich dürfen sie die Fibel aus dem Pult holen, mit der im Kanton Bern zwischen den 1920er und den 1950er Jahren zwei Generationen lesen gelernt haben: "O, mir hei ne schöne Ring" (von Ernst Schneider mit Bildern von Emil Cardinaux). Die kleine Schrift dürfen diejenigen Kinder, die schon lesen können, der Klasse vorlesen, die grosse Schrift wird wiederum im Chor von allen gelesen.
Auffällig an dieser Schulstunde ist – abgesehen von der anderen Ausstattung der Lehrenden wie der Lernenden sowie des Schulzimmers – der grosse Anteil der gemeinsamen Arbeit, das Sprechen im Chor und das Auswendiglernen. Die Kinder lernen noch zwei sehr unterschiedliche Schriften: die Frakturschrift zum Lesen und die Kurrentschrift zum Schreiben. Lesen wird wie bereits in den Jahrhunderten zuvor nach der synthetischen Methode vermittelt, das heisst, die Kinder lernen zunächst die einzelnen Buchstaben kennen und setzen diese dann zu ersten Wörtern zusammen.
Abgesehen von diesen auffälligen Unterschieden zum heutigen Unterricht im ersten Schuljahr sind methodisch aber bereits verschiedene Ansätze zu erkennen, die erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts deutlich mehr Gewicht erhalten: So wird beispielsweise schon in den 1920er Jahren anhand von Kinderversen und Reimen an der phonologischen Bewusstheit gearbeitet. Und durch verschiedene Buchstabengrössen erhält die Lehrperson Möglichkeiten zur Differenzierung zwischen beginnenden und fortgeschrittenen Lesenden.
Historische Schulstunden dieser Art können beim Schulmuseum Bern besucht werden. Hier kann in Form von Museumskisten auch didaktisch aufbereitetes historisches Material für den Unterricht in der Volksschule ausgeliehen werden.
Text: Britta Juska-Bacher