Kostenlose Beratungen für eine erfolgreiche Integration

Im Schulalltag kann Integration sehr herausfordernd sein. Die PHBern bietet als Unterstützung im Kanton Bern kostenlose Beratungen an. Im Team ist Fabienne Sieger. Sie hat eine autistische Wahrnehmung und setzt sich für eine erfolgreiche Integration ein.
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"Ich werde nur sehr ungern unterbrochen, wenn ich an etwas arbeite", erzählt Fabienne Sieger. Sie erinnert sich, dass sie in der Schule dauernd unterbrochen wurde: vom Läuten, von Lehrpersonen, die etwas sagen, oder von Mitschülerinnen und -schülern. "Wenn ich damals die Aufgabe nicht abschliessen konnte, aber bereits etwas Neues hätte anfangen sollen, hatte ich stets die alte Aufgabe noch im Hinterkopf", erklärt Sieger, "wie beim Computer, wenn die Browserfenster nicht geschlossen werden." Dies erschwerte es ihr erheblich, sich auf die neue Aufgabe einzulassen.

Fabienne Sieger kann in ihren Beratungen den Lehrpersonen aus erster Hand verständlich erklären, wie im Schulzimmer Reize für Kinder mit autistischer Wahrnehmung minimiert werden können. Ebenso glaubhaft kann sie vermitteln, weshalb schriftliche Vorinformationen oder Handlungsabläufe vieles erleichtern, wieso man auf geschlossene Fragen viel schneller eine Antwort erhält und weshalb spontane Ausflüge für Menschen mit Autismus unter Umständen eine grosse Herausforderung darstellen, während sich die ganze restliche Klasse darüber freut.

Beratung wird rege genutzt

Die heilpädagogische Fachberatung der PHBern ist ein kostenloses Angebot für alle Berner Schulen und wird rege von den Lehrpersonen genutzt. Zu Recht, denn das Team besteht aus kompetenten und erfahrenen Fachpersonen. Mit diesem Angebot will die PHBern Lehrpersonen darin unterstützen, Kinder und Jugendliche mit besonderem Bildungsbedarf zu integrieren. "Eine Beraterin im Team zu haben, die die besondere Wahrnehmung der Menschen mit Autismus erklären kann, ist sehr hilfreich", so Eric Klibstiel, Bereichsleiter Weiterbildungen und Dienstleistungen. Die Innensicht, die eine Person mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) hat, sei mittels Fachbücher nur bedingt erlernbar, ergänzt er.

Die Welt ist für Menschen mit autistischer Wahrnehmung komplizierter und unüberschaubarer als für neurotypische Menschen, also für Menschen, deren neurologische Entwicklung als sogenannt "normal" betrachtet wird. Menschen mit Autismus sind oft einer ständigen Reizüberflutung ausgeliefert, vertiefen sich in Details und erfassen deshalb nur schwer den Kontext.

Grosse Themenvielfalt in den Beratungen

Kinder und Jugendliche mit Diagnosen sind nur ein Themenfeld der heilpädagogischen Fachberatungen der PHBern. Weitere Themen können didaktische Fragen, herausfordernde Unterrichtssituationen sowie die Zusammenarbeit der Fachpersonen sein. Die PHBern bietet Einzel- oder Gruppenberatungen oder auch Fallsupervisionen an. Die Dauer der Beratung hängt sehr vom Thema ab. "Fragen nach Übungen bei Schluckstörungen sind schnell beantwortet. Bei Autismus oder ADHS begleiten wir die Lehrpersonen oder das Kollegium oft über Jahre hinweg", so Eric Klibstiel, der das Angebot verantwortet. Ein Kind mit Autismus beziehungsweise dessen Lehrperson begleitete er beispielsweise während neun Jahren: "Bei jedem Stufenübertritt war die Frage, ob es die nächste Klasse schaffen wird. Heute ist das Kind am Gymnasium."

Erfolgsrezept: auf Stärken setzen

Was sind die grössten Herausforderungen bei der Integration? "Nebst den Ressourcen oder verschiedenen Ansichten im Kollegium besteht auch ein Spannungsfeld zwischen Fördern und der Pflicht, die Kinder und Jugendlichen durch Noten zu beurteilen", so Klibstiel. Generell sei es immer wichtig, den Druck und Stress bei den Lehrpersonen sowie bei den Kindern zu minimieren, betont der Fachberater. Dies kann gelingen, indem die Lehrpersonen unabhängig von der Beurteilung in längerfristigen Perspektiven denken und sich die richtigen und wichtigen Fragen stellen:

  • Was kann das Kind?
  • Wo liegen die Stärken?
  • Wie kann man bei den Stärken ansetzen?

Der Fokus wird auf die Stärken des Kindes gerichtet. Zudem ist es wichtig, dass in kleinen Schritten gedacht wird und auch die Prozesse und kleinen Fortschritte honoriert werden: Löse mal diese Aufgabe, dann schauen wir weiter. Wie hast du dies gemacht? Ziel ist es, mit den Kindern gemeinsam Erfolge zu feiern. Oft hilft es, wenn man an Bestehendes anknüpft, beispielsweise wenn ein Kind mit Autismus Raumfahrtexpertin oder -experte ist, dann kann es helfen, wenn es Raketen zusammenzählt, anstatt wie die anderen Kinder Äpfel. Individualisieren und Flexibilisieren sind essenziell: Die Kinder müssen nicht gleich funktionieren wie die anderen.

Vision: Eine Schule für alle

Wo sind die Grenzen der Fachberatungen? "Wenn sekundäre Belastungen wie Depressionen zu gross werden oder wenn Kinder nicht mehr in die Schule wollen", so der Bereichsleiter. Bei Unsicherheit oder konkreten heilpädagogischen Fragen, die im Kollegium nicht gelöst werden können, lohnt es sich immer, sofort das Beratungsteam der PHBern zu kontaktieren. Oft haben Lehrpersonen, die in einer schwierigen Situation stecken, keine Energie mehr, sich externe Unterstützung zu holen. Doch gerade dann sollten sie sich unbedingt melden: Denn längerfristig können dank der Fachberatungen viele Ressourcen eingespart werden, beispielsweise dank neuen Ideen, Ansätzen, Deutungen von Verhaltensweisen.

Die Vision von Eric Klibstiel ist eine Schule für alle, in der niemand leiden muss oder ausgegrenzt wird. "Wo es allen wohl ist", ergänzt er lächelnd. Wie dies gelingt? Durch gute Fachberatungen und nicht zuletzt dank Menschen wie Fabienne Sieger, die zwischen den unterschiedlichen Wahrnehmungen Brücken schlagen. Denn ein Schlüssel zur erfolgreichen Integration ist das Bewusstsein und das Verständnis für die verschiedenen Wahrnehmungen beider Seiten.