Wer lange im Einsatz ist, braucht mal eine Insel

Regula Hares und Patrick Egli haben während des Semesterangebots einen Wirtschaftseinsatz geleistet. Fachlich und persönlich haben sie davon profitiert.
Beide empfehlen die Langzeitweiterbildung wärmstens.
Image
Wirtschaftseinsatz_Regula Hares
NEWS —

Im Gespräch mit Franziska Schwab von Bildung Bern geben sie Einblick in ihre gemachten Erfahrungen, erzählen vom Perspektivenwechsel auf der Insel und was der Wirtschaftseinsatz mit Toblerone und Makerspace zu tun hat.

Regula Hares absolvierte den Wirtschaftseinsatz im Mai 2022 in einem Blumenladen in Konolfingen. Sie stellte Floristikdekorationen her, schnitt Blumen zu, wusch Vasen, lieferte Produkte aus. Die Abläufe waren klar geregelt. "Ich musste nicht gleichzeitig für viele Leute denken und den Überblick behalten, konnte im Hier und Jetzt leben, musste auch nur wenige E-Mails checken – ganz im Gegensatz zu meinem Schulalltag", hält sie fest. "Das Knowhow fehlte mir zum Teil. Ich lernte durch Vorzeigen/Nachmachen, war auf Unterstützung angewiesen. So konnte ich mich gut in Schüler:innen versetzen, denen es in der Schule zu schnell geht, die noch einmal einen Durchgang brauchen. Eine wertvolle Erfahrung!" 

Brockenstube ist wie Schule

Patrick Egli arbeitete in der Heilsarmee-Brocki in Bümpliz. "Man konnte nichts planen. Waren kamen, gingen, mussten repariert werden. Ein steter Strom", erinnert er sich. Zu tun hatte er mit einem bunten Mix an Festangestellten, Menschen, die in die Arbeitswelt wiedereingegliedert werden sollen, mit Leuten mit Suchtproblemen. Zivildienstleistende und Menschen, die eine Busse abarbeiten mussten, waren ebenfalls im Einsatz. Er habe praktisch alles gemacht, ausser die Preise für die Waren bestimmt: Fahrrad repariert, Möbel geliefert, in der Ausstellung gearbeitet. Der Chef habe ihm vieles zugetraut. Patrick Egli sieht Parallelen zur Schule: "Es geht darum, Leute zu beraten, etwas zu präsentieren. In der Schule sind es Lerninhalte, teilweise alte, die man im weitesten Sinn möglichst vorteilhaft präsentiert. Und es hat eine Kundschaft, die die Angebote will oder nicht. In die Schule kommt sie nicht freiwillig, in die Brockenstube schon", so Patrick Egli.

Perspektivenwechsel auf der Insel

Auch im Blumenladen gibt es Parallelen zur Schule: Die Motivation, warum man Blumen kaufe, sei unterschiedlich: vom Todesfall bis zum Geschenk für sich selber. "Die Welten wechseln schnell. In der Schule ist es auch so: Die Schüler:innen kommen aus verschiedenen Erlebniswelten, von guten Familienverhältnissen bis zu schwer belasteten Hintergründen. Als Lehrerin muss ich darauf eingehen können", sagt Regula Hares. Sie unterrichtet seit 26 Jahren. Für die Langzeitweiterbildung hat sie sich auch entschieden, weil sie den Perspektivenwechsel suchte. "Wenn man lange an der Front ist, braucht man mal eine Insel", hält sie fest.

Toblerone und Makerspace

Patrick Egli interessierte sich für die Abläufe im Hintergrund der Brockenstube. Spannend fand er den Mix der Kundschaft: "Es kamen die verschiedensten Leute – z. B. solche, die Kleider für ein Upcycling kaufen, oder auch solche, die sich nur ein T-Shirt für 2 Franken leisten können", sagt er. Egli unterrichtet seit 29 Jahren. Aus der Weiterbildung hat er einiges mitgenommen: mehr Ruhe und Gelassenheit, zum Beispiel. Er habe viel Neues kennengelernt: Lernarrangements, Erkenntnisse der Hirnforschung, Menschen. Auf den Pulten seiner Schüler:innen liegen jetzt z. B. "Tobleronen" mit rot-gelb-grüner Bemalung. Hat eine Schülerin etwas nicht verstanden, stellt sie auf Rot. Dann kommt und erklärt der Lehrer. "Ich kann am Morgen nach der Befindlichkeit fragen. Denjenigen, die auf Rot gestellt haben, lasse ich etwas länger Zeit zum Ankommen". Auch dass nicht immer beurteilt werden müsse und die Schüler:innen sich manchmal auch einfach über ein Lob freuten, nehme er klar mit: "Wir diskutierten unterschiedliche Formen der Beurteilung". Während der Weiterbildung entwickelte er einen Makerspace. "Ich hatte Zeit, mich wirklich damit auseinanderzusetzen. Im normalen Schulbetrieb wäre das unmöglich gewesen. Vom Makerspace können jetzt viele Kolleg:innen profitieren".

Loslassen ohne Leistungsdruck

"Wir Lehrpersonen, die schon lange im Dienst sind, sind ein wertvolles Gut. Wir müssen aber auf unsere Ressourcen schauen, einen Gang runterschalten", sagt Regula Hares. Noch bewusster geworden sei ihr, wie wichtig und tragend die Beziehung zu den Kindern sei und dass sie als Lehrperson eine zentrale Rolle in der Steuerung von Gruppendynamiken spiele. Im Unterricht arbeitet sie intensiver an kooperativen Lernformen. "Ich probiere eher mal aus, lasse Prozesse zu, habe weniger den Anspruch auf Perfektion". Sie hat das Loslassen ohne Leistungsdruck, ohne Nachweis genossen. "In der Langzeitweiterbildung wird nicht beurteilt. Ich darf mir etwas bieten lassen, bin in einer anderen Rolle". Dass es herausfordernd ist, den Schalter vom Unterrichts- zum Weiterbildungsmodus zu kippen, bestätigt Patrick Egli: "Anfangs fiel es mir schwer, aus der Schule rauszukommen, zu merken: Ich muss nicht, ich kann". Als Lehrer biete man immer etwas. "Ich hatte stets das Gefühl: Ich muss doch mehr machen!", sagt er.

Büro geschlossen

Zurück in der Schule, ist den beiden Folgendes wichtig: "Ich beschäftige mich schon länger mit dem Thema Selbstmanagement. Ich nehme mir kleine Zeitinseln raus, plane sie ein und gönne sie mir bewusst. Auch im Unterricht sage ich etwa: Jetzt ist mein Büro mal 10 Minuten zu. Es gibt Strategien, wie man sich selber helfen kann. Diese müssen auch die Schüler:innen im Leben kennen. Wenn man für sich und seine Bedürfnisse einstehen kann, kommt das anderen auch zugute", sagt Regula Hares. Auch Patrick Egli macht bewusster Pausen und arbeitet an einem 9-Lektionen-Tag nicht noch über Mittag. "Auch als SMI erledige ich nicht alles sofort. Es gibt eine Prioritätenliste, die ich einhalte. Verantwortung an Schüler:innen und auch an Lehrpersonen zu delegieren, ist gut. Sie fragen jetzt weniger, auch weil ich ein halbes Jahr weg war. Im Umgang mit den Schüler:innen habe ich nicht viel geändert. Ich hatte immer schon Zeitfenster für kurze Denkpausen. Ich gebe vollen Einsatz. Der Mensch steht im Mittelpunkt".