Kommentar zur "Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts"

01.05.2020 

Die Bildungs- und Kulturdirektion BKD hat die Vorgaben des Bundesrats vom 29.04.2020 in einem Leitfaden konkretisiert. In Bezug auf das Thema Chancenungleichheit und auf die Digitalisierung im Zusammenhang mit dem Fernunterricht wird Folgendes festgehalten:  

"Die Chancengerechtigkeit konnte während des Fernunterrichts teilweise nicht gewährleistet werden. Besonders betroffen sind SuS, die von den Lehrpersonen nicht in genügendem Masse ‘erreicht’ und begleitet werden konnten, zu Hause nicht unterstützt wurden oder nicht die gleichen Voraussetzungen bzgl. Infrastruktur (z.B. Zugang zu Laptop oder PC) vorfanden. Deshalb ist das pädagogische Augenmerk bei der Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts insbesondere auf diese Kinder und Jugendlichen zu richten." (Leitfaden BKD, Einleitung, S. 4) 

Im Austausch mit dem Schulfeld haben wir den Leitfaden unter die Lupe genommen. Zu jedem Punkt im Leitfaden halten wir Akzente und Ergänzungen hinsichtlich unseres Themas Chancen(un)gleichheit fest.


 

Hygienemassnahmen und Organisation (Leitfaden BKD, S. 4-7)

Die Schule als Ganzes in den Blick nehmen  

  • Gemeinsames Vorgehen über die Zyklen hinweg absprechen (bzgl. BAG-Vorgaben, Hygienemassnahmen; Schutz vulnerabler Personen; Empfangen der Schülerinnen und Schüler; Elternkontakte).  

  • Absprachen Schule – Tagesschule bzw. Schulleitung – Tagesschulleitung (unter Einbezug der Unterrichtsteams) einplanen. 

  • Kontakte zu den Erziehungsberechtigten aufnehmen, im Bewusstsein der aktuellen lebensweltlichen und sozialen Verhältnisse.

Personal (S. 8)

Gesundheitliche, soziale und finanzielle Situation von Lehrpersonen, Betreuungs- und Fachpersonen beachten, Notlagen erkennen (Betreuungsengpässe, existentielle Ängste) und nach entlastenden Lösungen suchen.

Aufnahme Präsenzunterricht (S. 9)

Die Schulleitung muss ihre Verantwortung wahrnehmen 

  • Ausreichend Raum und Zeit einräumen für Austausch in den Schulteams, d.h. Lehrpersonen, schulischen Heilpädagoginnen und Heilpädagogen und anderen Betreuungs- und Fachpersonen. Insbesondere auch die Schulsozialarbeit einbeziehen. 

  • Aufarbeitungsprozess initiieren. Erkenntnisse der Fernunterrichtszeit sammeln, strukturieren und zusammenfassen, um sie für die Schulentwicklung und ggf. eine erneute Schulschliessung nutzbar zu machen. 

  • Gute, tragfähige Beziehung zu allen Erziehungsberechtigten anstreben. Direkten und regelmässigen Austausch vorsehen zur Befindlichkeit, den Bedürfnissen, den Lernprozessen der Lernenden.  

  • Nach der erfolgreichen Wiederaufnahme des Unterrichts die individuelle Förderung in Absprache im Klassenteam intensivieren, hierfür genügend Zeit investieren. 

Beurteilung (S. 10)

Der Fernunterricht konnte nicht von allen gleichermassen genutzt werden 

  • Konsequent auf negatives Feedback (auch in Form von Stempeln – z.B. Regenwolke, weinendes Smiley etc.) verzichten. Es ist weder lern-, selbstwert-, beziehungs- noch integrationsförderlich. 

Berufswahl (S. 11)

Die Berufswahl und die Lehrstellensuche waren für viele blockiert, insbesondere in Familien, in denen die Eltern keine Ressourcen für die Unterstützung haben. 

  • Benachteiligte Jugendlichen bei der Lehrstellensuch aktiv unterstützen, Eltern einbeziehen. zusätzliche BIZ-Angebote nutzen, Austausch intensivieren. 

Im Anhang des Leitfadens (S.12-16) sind Aspekte zu finden, die für die Chancengleichheits-Thematik zentral sind. Auch hier sind zusätzliche Hinweise festgehalten.

Didaktische Anregungen

Ressourcenorientiert einsteigen. Gelerntes nachhaltig in weitere Lernprozesse integrieren. 

  • Beziehungen wieder aufnehmen und pflegen. 

  • Peerkontakte fördern, begleiten und damit die Motivation stärken. 

  • Gemeinsame Lernprozesse mit Lernenden ermöglichen, die im Fernunterricht verbleiben (Teilnahme am Unterricht per Video z.B., gemeinsamer Austausch WhatsApp-Video-Anruf, Kontakte per Mail etc.). 

  • Feedback der Schülerinnen und Schüler ausführlich und individuell einholen.  

  • Über Erfahrungen austauschen, Erlebnisse aufarbeiten, Engagement anerkennen, Gelerntes würdigen (z.B. Umgang mit digitalen Medien). 

  • Beim digitalen und selbstorganisierten Lernen anknüpfen und beides weiter fördern: Arbeiten, Themen, Übungen, welche sich im Fernunterricht bewährt haben, in den Präsenzunterricht integrieren und ebenso weiter für die Lernenden, welche im Fernunterricht verbleiben, nutzen.  

Differenzieren im Unterricht

Der Fernunterricht hat die Chancenungleichheit verstärkt. Nicht alle Schülerinnen und Schüler konnten in den vergangenen Wochen hinreichend unterstützt werden. 

  • Die unterschiedlichen Lernstände und individuellen Situationen wahrnehmen, gemeinsame Themen für den Unterricht finden. 

  • Unterricht prinzipiell für heterogene Lerngruppen planen. Die Aufgaben unterscheiden sich bezüglich Schwierigkeit, Menge, Hilfsmittel (Anschauungs- und Handlungsmaterialien) und Lernbegleitung.  

  • Die Unterrichtsplanung, -durchführung und -reflexion im Unterrichtsteam (Lehrperson und schulische Heilpädagogin/schulischer Heilpädagoge) gemeinsam verantworten. 

  • Die Förderung durch die schulischen Heilpädagoginnen/Heilpädagogen wo möglich in den Unterricht integrieren. Wo nötig die spezifische Förderung während eines begrenzten Zeitraumes separiert fortsetzen bzw. neu initiieren, aber die Abstimmung mit dem Klassenunterricht gewährleisten. 

Kommunikation mit Erziehungsberechtigten

Schulleitung – Erziehungsberechtigte: Ein Info-Brief allein auf Deutsch reicht in vielen Fällen nicht aus, um den Eltern die Situation zu erklären.  

  Individuelle Kontaktaufnahme zu Eltern, welche 

  • Begleitung zum Verständnis der Situation benötigen, die das offizielle Schreiben der Schulleitung nicht verstehen und /oder verunsichert sind (zusätzliche Unterstützung für Übersetzungen). 

  • Angst haben, ihre Kinder wieder in die Schule zu schicken. 

  • vulnerable Familienmitglieder haben. 

  • mit existentiellen Herausforderungen konfrontiert sind und sich daher nicht prioritär um die Bildung der Kinder kümmern können. 

Kontakt

Arbeitsgruppe "Digitalisierung und Chancen(un)gleichheit"

Think Tank Medien und Informatik (TTIM)
Fabrikstrasse 8
CH-3012 Bern