Didaktischer Kommentar

Alltag im Mittelalter

Relevanz und Übersicht

Die Epoche des Mittelalters bildet Kernbestand im geschichtlichen Aspekt des NMG-Unterrichts auf der Mittelstufe. Aus diesem Grund werden hier ausführlich die Beispiele von Burg, Kloster, Dorf, Bauernhaus und Stadt ausgewählt, um möglichst genau an diesen Orten aufzuzeigen, wie sich das mittelalterliche Leben abgespielt haben mag.

Die Lernenden lernen durch das selbständige Durcharbeiten der mehrperspektivisch dargestellten Lebensbilder aus dem Mittelalter die für diese Kulturepoche relevanten „Hot-Spots“. umfassender kennen. Sie werden dadurch befähigt, wesentliche charakteristische Aspekte dieser Lebensbereiche zu kennen und altergemäss kompetent Auskunft über diese Kulturepoche zu geben. Sie können diese auch zeitlich richtig einordnen und gewinnen dadurch einen groben Überblick der europäischen Geschichte.

Alle Bilder sind Rekonstruktionszeichnungen, welche - nach dem heutigen Forschungsstand aus Archäologie und Denkmalpflege - Lebensbilder aus dem Spätmittelalter im entsprechenden sozialen, architektonischen und landschaftlichen Kontext zeigen. Im Bezug auf Burgen und Klöster so wie auf spätmittelalterliche, städtische Siedlungen können im schweizerischen Raum sehr gute und in genügender Zahl vorhandene Referenzbeispiele gefunden werden, welche die vielen Details in den Rekonstruktionsbildern bestätigen.

Aus der spätmittelalterlichen Epoche, also zwischen 1350 – ca. 1515, sind im schweizerischen Raum jedoch nur wenige, vollständige Holzbauten erhalten geblieben. Aussagekräftige, zeitgemässe Bilder sind ebenfalls rar, obwohl wir uns beispielsweise auf Bilderchroniken (Luzerner Chronik von Diebold Schilling um 1513) oder auf die exakten Darstellungen von Albrecht Kauw stützen, der um 1670 viele Bernische Schlösser mit ihrer meist ländlichen Umgebung abgezeichnet hat. Dabei stossen wir immer wieder auf Bauernhäuser mit Hochstudkonstruktionen. So dürfen wir annehmen, dass die ältesten, hier dargestellten Bauten bereits 300 jährig waren, als er sie zeichnerisch festgehalten hat. Ihre Bauzeit liegt somit im Spätmittelalter. Aufgrund von dendrochronologischen Untersuchungen stammt das älteste, noch bestehende Bauernhaus im Kanton Bern von 1476 und steht in Niederbipp. Eine Reihe älterer, bestehender Bauernhäuser im Kanton Schwyz stammen aus dem ersten Drittel des 14. Jahrhunderts (um 1317 - 1330).

Die Tradierung der Zimmermannstechnik und ihre regionaltypischen Formen haben gezeigt, dass sich Bewährtes über Jahrhunderte hinweg kaum verändert hat, so dass man relativ sicher annehmen kann, dass beispielsweise Speicherbauten oder Hochstudkonstruktionen bereits im Spätmittelalter entsprechend der Zeichnungen ausgesehen haben.

Vorstellungen und Vorkenntnisse

Zum Thema „Kloster im Mittelalter“

Lernende haben bezüglich dieses Themas weitestgehend keine Ahnung. Die Religiosität spielt im heutigen, durchschnittlichen Lebensalltag kaum mehr eine grosse Relevanz. Dementsprechend gilt es, Basics der Christlichen Religion parallel zur Darstellung des Klosterlebens zu vermitteln. Die enorm spiritualisierte Lebenswelt des Mittelalters kann mit denjenigen heutiger, noch stark religiös geprägter Gesellschaften - wie etwa derjenigen in islamischen Ländern, aber auch in Buddhistischen und Hinduistischen Kulturen - verglichen werden. Vor allem in letzteren kann der klösterliche Lebensalltag, für uns zwar etwas exotisch, als gut brauchbare Illustration beigezogen werden, um sie mit der monastisch-christlichen Kultur zu vergleichen.

Zum Thema „Ritter und Burgen im Mittelalter“

Die gelegentlich bereits tief verankerten Vorstellungen resp. Präkonzepte den Lernenden zum Thema „Ritter / Burgen“ entstammen aus Spielen (Spielfiguren), Filmen und aus Sachbüchern, welche inflationären Charakter haben. Dieses „Wissen“ über das Leben von Rittern gilt es dahin zu korrigieren, weil meist ein hochherrschaftliches „Ritter-Leben“ und dementsprechend auch spektakuläre Lebensräume der Burgen und Schlösser dargestellt werden. Ebenfalls werden die Kernaufgaben der Ritter stark auf das Kriegs- und Turnierhandwerk fokussiert. Hier gilt es aufzuzeigen, dass die allermeisten Ritter und ihre Familien ein unspektakuläres, im Vergleich zur übrigen Bevölkerung dennoch etwas privilegierteres Leben, verbringen konnten.

Es gilt auch darzustellen, dass die allermeisten Burgen in der Schweiz Kleinburgen lokaler Adelsfamilien waren und sie auch wesentlich mehr repräsentativen als prioritär militärischen Charakter gehabt haben.

Zum Thema „Bauerndorf und Bauernhaus im Mittelalter“

Eine beachtliche Zahl bäuerlicher Bauten, Weiler und Dörfer haben in ländlichen Gebieten teilweise eine vergleichbare, äusserliche Charakteristik bewahrt, wie sie hier im fiktiven Dorf aus dem Spätmittelalter dargestellt wird. Somit gelingt es den meisten SuS wohl recht schnell, hier Parallelen zu finden und „anzudocken“. Dennoch fussen die Präkonzepte des SuS auf ländliche Alltagssituationen der Gegenwart, die mit der Lebenswelt des MA nicht mehr zu vergleichen sind.

Zum Thema Stadt & Handwerk im Mittelalter

Die meisten Städte haben einen sehr grossen Wandel vollzogen, so dass ihr Erscheinungsbild weit entfernt von dem der dargestellten Stadt ist. Einige Parallelen könnten Lernenden jedoch bei Besuchen von gut erhaltenen Alt-Städtchen gemacht haben. Die Befestigungsanlagen könnten den Lernenden etwas bekannter vorkommen, da diese doch recht verwandt mit denjenigen der Burgen sind.

Lerngegenstand und thematische Schwerpunkte

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Stadt

Die Stadt bildet das Handels- und Gewerbe- aber auch das Kulturzentrum einer Region. Bewohnerinnen und Bewohner leben und arbeiten auf engstem Raum, der gut organisiert sein muss. So ist die Stadt politisch organisiert, es gibt Reglemente des Zusammenlebens, Vorschriften für den Häuserbau, eine Gesundheitsversorgung, eine Abwasserver- und -entsorgung sowie die den Alltag stark prägenden religiösen und kulturellen Institutionen (Stadtklöster, Beginenhäuser, Spitäler, Ordensstifte). Eine Stadt bietet nicht zuletzt auch Schutz (Mauern, Wehrtürme...) gegen kriegerische Einwirkungen. Die Befestigungsanlagen einer Stadt haben nebst dem defensiven auch einen bewusst repräsentativen Charakter gegenüber dem umliegenden Land mit seinen unbefestigten Dörfern, Weilern und Einzelhöfen. Die Stadtbwohnerinnen und –bewohner geniessen - im Vergleich zur Landbevölkerung - besondere Rechte: Es gibt hier keine Leibeigenschaft. („Stadtluft macht frei“).

Kloster

Klöster sind nicht nur religiöse Zentren, sondern auch Orte des Wissens, (Bibliotheken und Skriptorien), von Medizin, (Kräutergarten, medizinische Bücher) und von Macht (Verwaltung der zugehörigen Ländereien). Das spirituelle Leben von Mönchen und Nonnen in ihren verschiedenen Ordensgemeinschaften hat zentrale Bedeutung und Einfluss im religiös stark geprägten Lebensalltag der mittelalterlichen Bevölkerung, sowohl auf dem Land wie auch in den Städten.

Dorf und Bauernhaus

Die ländliche Bevölkerung lebt und arbeitet auf dem Dorf und seinem zugehörigen Umland. Die bäuerliche Bevölkerung setzt sich aus Grossfamilien – auch hier mit hierarchischen Strukturen – aus Bauern und Bäuerinnen mit ihren Kindern und mit einer beachtlichen Anzahl von Knechten und Mägden zusammen. Sehr wenige haben echten Eigenbesitz, sondern sind meist Leibeigene von so genannten „Grundherren“ wie etwa Adlige und Klöster. Die bäuerliche Bevölkerung ist ihnen somit untertan. Sie muss ihnen vom Erwirtschafteten jährlich als Zins den „Zehnten“, meist in Form von Naturalien, abliefern. Ansonst lebt die ländliche Bevölkerung in autarker Selbstversorgung. Überschüsse aus der Landwirtschaft werden in die Städte verkauft und bilden dort die lebenswichtige Nahrungsmittelversorgung .

Burg

Burgen sind meist repräsentative, befestigte Adelshäuser und bilden den Wohn- und Verwaltungssitz der Ritterfamilien. Sie befinden sich meist an strategisch bedeutenden Stellen, von wo aus die zugehörigen Ländereien überwacht, verwaltet und im Kriegsfall auch verteidigt werden können. Neben der adligen Familie leben und arbeiten Bedienstete, die Burgmägde und –knechte. Angegliedert an Burgen finden sich oft ein landwirtschaftlicher Betrieb, eine Schmitte und gelegentlich auch eine Mühle. Adlige haben - im Gegensatz zur ländlichen Bevölkerung - alleiniges Recht, Wild zu jagen.

Lehrplanbezug

Die animierten Bilder bieten den Lernenden die Möglichkeit, an folgenden Kompetenzen zu arbeiten:

Die Lernenden lernen durch die Mehrperspektivität der hier dargestellten Lebensbilder den Zeitbegriff „MITTELALTER“ umfassender kennen, können charakteristische Aspekte dieser Epoche selbständig erfahren und danach auch korrekt verwenden. Sie sind fähig,  Zeit als Konzept zu verstehen und können den Zeitstrahl dazu richtig nutzen. (NMG.9.1)

Die Lernenden lernen mittels der Bilder verstehen, wie sich Geschichte(n) aus der Vergangenheit re-konstruieren lässt und dass mit Geschichte auch Gegenwart entsteht. Weiter können die hier dargestellten Lebensbilder ermöglichen, sowohl Dauer und Wandel in der eigenen Lebenswelt und ihrer Umgebung zu erschliessen. (NMG.9.2/ NMG.9.3)

Die Lernenden können im Vergleich mit heute die grossen Veränderungen in den Kultur-wie auch in den Naturräumen erkennen und über über die Folgen von Veränderungen nachdenken. (NMG.8.3)

Die fiktiven Bilder sind in Landschaftsräume eingebettet, die im Schweizerischen Mittelland vor-kommen und sie sind gegenseitig so aufeinander abgestimmt, dass sich Lernenden darin auch geografisch orientieren können. (NMG.8.5)

Organisation und Beurteilung

Methodische Ausrichtung

Im Gegensatz zu Filmen stehen in dieser Software-Anwendung „stehende“ Bilder im Zentrum, deren informativer Gehalt durch die vorliegende Pop-up-Technik erschlossen wird: Alle informationsrelevanten Details der Rekonstruktionsbilder können durch die Lernenden selbstständig angewählt und mittels Erläuterungen, Erzählungen und Dialogen in individueller Geschwindigkeit erschlossen werden. Die Erarbeitungsform ist das eigene Erschliessen der Bildwelten mittels Audiokommentaren. Eine Partnerarbeit kann ebenfalls empfohlen werden, dann jedoch in abgesonderten Räumlichkeiten.

Organisation

Alle Lernenden benötigen je einen Computer oder ein Tablet mit direkten Anschluss ans Internet und unbedingt einen Kopfhörer, sofern die Bilder im Klassenverband geöffnet werden. Für die Arbeit werden die Browser «Firefox» oder «Chrome» empfohlen. Es ist in den Einstellungen des Browsers darauf zu achten, dass Popups nicht unterdrückt werden. Pro Station sind zwischen 19 und 48 Informationsbilder zu öffnen. Das Durchgehen, Betrachten und Anhören der Erklärungen, Erzählungen und Dialoge dauert rund 30 Minuten pro Gesamtdarstellung.

Einführung

Einführend kann gemeinsam mit den Lernenden eine Auslegeordnung über das vorhandene Wissen zum Mittelalter vorgenommen werden (Präkonzepterhebung). Alternativ oder ergänzend kann es sinnvoll sein, die Epoche des Mittelalters mit seinen Eigen- und Besonderheiten auf einem Zeitstrahl zu verorten.

Beurteilung

Es bietet sich an, dass sich Lernende auf ausgewählte Themen spezialisieren. Sie erkunden den entsprechenden Hotspot, das Intro und die weiterführenden Erzählungen nach entsprechenden Informationen und Hinweisen und stellen weiterführende Recherchen in Büchern oder dem Internet an. Als Expertinnen und Experten des Themas geben sie ihr Wissen den anderen Lernenden weiter, z.B. in Form eines Plakats, einer Präsentation oder gar einer selbst gestalteten Webseite. Eine weitere mögliche Form der Beurteilung bietet sich an, wenn sich Lernende für einen Hotspot entscheiden, diesen eingehend erkunden, sich Notizen machen oder sich eine eigene Geschichte ausdenken, die sich dort und zu jenem Zeitpunkt abgespielt haben könnte. Die schriftlich verfasste oder dargestellte Geschichte sollte mindestens auf 10 Aspekte aus den Bildern Bezug nehmen.

Weiterführendes

Originale Begegnungen

Originale Begegnungen zu den hier vorgestellten Themen sind äusserst sinnvolle Ergänzungen, können doch die Rekonstruktionsbilder nie die erlebte Intensität beim Besuch eines Originals ersetzen. So empfehlen wir den Besuch einer Burg / Burgruine, eines möglichst gut erhaltenen Kleinstädtchens, einer Klosteranlage oder eines authentischen Bauernweilers, möglichst mit einem Hochstudhaus (hier findet man zwar keine spätmittelalterliche Substanz, jedoch tradierte Konstruktionsformen) und eines oder mehrerer Speicher.

Besonders empfehlenswert sind auch museal belassende Bauernhausmuseen wie beispielsweise das „Althuus“ im Weiler Jerisberghof bei Kerzers. Hier finden sich didaktisch sehr informativ vorbereitete Unterlagen zu einer Bauernhauserkundung. Ebenfalls eine mögliche originale Begegnung ist im Hochstudhausmuseum von Muhen, Kt. Aargau möglich. Hier ist ein am originalen Standort belassenes, sehr gut eingerichtes Strohdachhaus vorhanden. Weitere Exkursionshinweise finden sich im IdeenSet.

Quellen

Titelbild: Kreuzgang Zisterzienserkloster von Noirlac (F), CC-BY-SA Martin Furer