Natacha Pinheiro - Unter der Haut

Textiles Gestalten

Pinheiro

«Unter der Haut» verschiebt die Grenzen des klassischen zweidimensionalen Webens hin zur räumlichen Installation. Zerbrechliche, ausgediente Damenstrumpfhosen werden zu einer Skulptur verwoben, die den Webstuhl als Instrument innerer Erkundung nutzt. Ein Material, einst hautnah, wird zum Träger unsichtbarer Geschichten - gedehnt, zerrissen, verdreht, verwoben. Schichten von Identität und Weiblichkeit treten in zwei gewebten Körpern hervor und verweisen auf das oftmals übersehene künstlerische Potenzial eines Verfahrens, das lange in den Bereich funktionaler Handwerkskunst gedrängt wurde.

Ich webe seit einiger Zeit, habe mich jedoch nie als Weberin bezeichnet. Bis vor Kurzem wusste ich nicht, wie man einen Webstuhl einrichtet, und fühlte mich wie ein Kind, das in einem Ausmalbuch innerhalb vorgezeichneter Linien koloriert - begrenzt durch Vorgaben, die nicht von mir stammen. Ein Werkzeug und seine Grenzen zu kennen, ist entscheidend, um ein Verfahren weiterzudenken, in einen zeitgenössischen Kontext zu übertragen und didaktisch neu zu interpretieren.

So kaufte ich einen gebrauchten Trittwebstuhl - verstaubt, vernachlässigt, doch voller Potenzial. Mit der Unterstützung einer Expertin  brachte ich ihn wieder in Stand, nicht, um ihn klassisch zu beherrschen, sondern um Weben als autobiografische Forschung über Vergangenheit und Zukunft dieser Praxis zu nutzen. Weben galt historisch als Frauenarbeit: funktional, dekorativ und am Rand der Kunst verortet. Die Frauen am Bauhaus wurden in die Weberei gedrängt und von Architektur und Skulptur ausgeschlossen – in der Annahme, sie könnten nicht «dreidimensional denken». «Unter der Haut» reagiert auf diese Geschichte, indem es Weben als skulpturale Sprache zurückerobert.

Die Prinzipien des Webens haben sich seit achttausend Jahren kaum verändert: Unabhängig vom Webstuhl werden die meisten Entscheidungen vor dem eigentlichen Prozess getroffen. Je stärker Webstühle industrialisiert wurden, desto weniger Freiheit blieb der Hand. Weben ist daher ein Tanz zwischen Kontrolle und Risiko. Ich arbeite intuitiv am Webstuhl zeichne mit Fäden, baue spontane, unperfekte Oberflächen. Fasern knoten und sammeln sich zu einem kontrollierten Chaos. Statt Stoff entstehen Körper: zwei schwebende organische Formen, die miteinander in Resonanz treten und den Betrachtenden in eine dreidimensionale Beziehung zu Material und Raum ziehen.

Die Schichtungen bestehen aus ausrangierten schwarzen Nylonstrumpfhosen - einst wie eine zweite Haut getragen – kombiniert mit schwarzer Sariseide, Baumwolle und übrigen Garnen aus meinem Atelier, die Struktur und Volumen geben. Strumpfhosen sind konzeptuell aufgeladen: glänzend, zerbrechlich, elastisch, verbunden mit Weiblichkeit und öffentlicher Inszenierung. In Streifen geschnitten werden sie zu unerwarteten Fäden - Nähte, Transparenzen und Unebenheiten fungieren als zeichnerische Setzungen und werden bewusst nach einem 1:1-Plan im Gewebe platziert.

«Unter der Haut» untersucht ein Weben jenseits von Muster, Funktionalität und Perfektion. Der Webstuhl wird zum Werkzeug für Reflexion, Experiment und haptisches Denken. Zwischen Hingabe und Kontrolle wird Weben zu meiner Sprache - körperlich, intuitiv, skulptural - und fordert Raum zurück für eine Praxis, die zu lange als bloss funktionales Handwerk galt.

Material und Technik

Strumpfhosenstreifen, Baumwolle, recycelte Sari-Seide und Wolle, eingewoben in eine Baumwollkette