Sara Rubino - Auf der Suche nach dem roten Faden

Textiles Gestalten

Rubino

Wie gelangt man eigentlich vom Schaf zum Kleidungsstück? Die Antwort darauf verbirgt sich hinter diesem Wickeltop, welches - von Kammzügen ausgehend - ausschliesslich in Handarbeit hergestellt wurde. Sieht man, wie viel Zeit und wie viele Verfahren hinter so einem Wickeltop stecken, so lernt man fertige Wollprodukte besser schätzen.

Als ich im Sommer 2023 in Schottland auf einem Bauernhof meinen Sprachaufenthalt gemacht habe, musste ich einem Bauern helfen, seine ausgebrochenen Schafe auf ihre Weide zurückzutreiben. Nachdem wir es geschafft hatten, habe ich auf dem Heimweg am Zaun ein kleines Knäuel Wolle gefunden, welches wohl ein Schaf verloren hatte, als es über den Zaun gesprungen war. Der Knäuel war ganz weich und ich habe ihn während des ganzen Rückwegs in den Händen gehalten und fasziniert angeschaut. Dann habe ich den Pullover, den ich trug, angeschaut und mich gefragt, wie man eigentlich von der rohen Wolle zum Pullover kommt. In diesem Moment habe ich realisiert, dass ich nicht einmal weiss, wie Kleidungsstücke, die ich trage, hergestellt werden. Das Schlimmste daran war, dass ich mir vor diesem Moment nicht einmal bewusst war, dass ich das nicht wusste. Also habe ich mir gesagt, dass ich gerne mehr über den vollständigen Herstellungsprozess von Kleidungsstücken aus Wolle wissen möchte. Ich wollte gerne mal in die Rolle der Produzentin schlüpfen und nicht, wie immer, Konsumentin sein. Ich wollte gerne mal etwas von Grund auf herstellen und so erfahren, wie etwas von Beginn an entsteht.

Also habe ich mich im Rahmen meiner Projektarbeit dazu entschieden, meiner offenen Frage «Wie kommt man vom Schaf zum fertigen Kleidungsstück?» nachzugehen. Meine Frage konnte ich mithilfe der Herstellung eines Wickeltops beantworten. Da ich keine eigenen Schafe besitze, habe ich nicht ganz beim Schaf begonnen, sondern bei gekauften Kammzügen. Beginnend bei den Kammzügen habe ich gesponnen, gezwirnt, Stränge gewickelt, gefärbt, Knäuel gewickelt und zum Schluss ein Wickeltop gestrickt. Doch durch den Kauf der fertigen Kammzüge habe ich die Prozesse Scheren, Waschen, Zupfen, Kardieren und Kämmen übersprungen. Dieses Defizit habe ich kompensiert, indem ich eine kleine Menge Wolle exemplarisch gezupft, kardiert und gekämmt habe. Das Scheren und Waschen habe ich durch den Besuch der 45. Schafschur in Huttwil miterlebt, jedoch nicht selbst durchgeführt.

Dank der Herstellung des Wickeltops weiss ich nun, was alles hinter einem fertigen Produkt aus Wolle steckt. Es stecken sehr viel mehr Teilschritte und Zeit dahinter, als ich dachte. Das Endergebnis meines Projekts ist nicht nur ein schönes Wickeltop, sondern auch ein Zuwachs an Wertschätzung gegenüber fertigen textilen Produkten. Jetzt bin ist mir bewusst, was alles hinter meinen gekauften Kleidern steckt, und schätze diese viel mehr.

Material und Technik

Wickeltop aus Schurwolle (50% Merino & 50% Bluefaced Leicester)