Berufsaussichten Schulische Heilpädagogik

Spannende Porträts von Schulischen Heilpädagoginnen und Heilpädagogen in verschiedenen Tätigkeitsbereichen.

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Porträt Heilpädagoge

Integrative Förderung an einer Volksschule

Neben und nach seinem Heilpädagogik-Studium arbeitete Reto Abegglen als Heilpädagoge in Thun. Seine Aufgabe sei, den richtigen Zugang zum Lernstoff zu finden. Das mache den Beruf kreativ. Reto Abegglen versteht sich als "Anwalt" der Schülerinnen und Schüler und findet, das sollte die innere Haltung jeder Lehrperson sein.

Reto Abegglen studierte im Jahr 2013 Heilpädagogik an der PHBern. Während dessen arbeitete er bereits in der Schule Pestalozzi in Thun in der integrativen Förderung. Vor dem Studium unterrichtete Abegglen zwanzig Jahre lang, vor allem auf der Mittelstufe. In Hondrich war er auch Schulleiter. Was hat ihn bewegt, ein Studium zu beginnen? "Ich kannte fast alle Facetten meines Berufs", erzählt der 45-Jährige. "Und ich wollte mich noch weiterentwickeln.

Ich hatte wirklich Lust, mich wieder auf den neusten Stand zu bringen, und auf Fragen, die ich hatte, Antworten zu erhalten."

Viele Wege führen zum Schulstoff

"Meine Handlungsempfehlungen und mein Wissen als Heilpädagoge werden an meiner Schule sehr geschätzt", erzählt der Mühlethurner über seinen Alltag in Thun. "Es hilft mir sehr, dass ich lange Zeit als Lehrer gearbeitet habe und die Materie kenne." Der mittlerweile diplomierte Heilpädagoge arbeitet sowohl mit Kleingruppen als auch mit einzelnen Schülerinnen und Schülern. Vor allem innerhalb des Klassenzimmers, manchmal aber auch ausserhalb.

"Der inklusive Unterricht sieht vor, dass alle Schülerinnen und Schüler im Klassenzimmer unterrichtet werden. Leider ist das nicht immer möglich oder sinnvoll." Abegglen schätzt die Abwechslung in seiner Arbeit. "Ich übe einen sehr kreativen Beruf aus", findet er. "Jede Schülerin, jeder Schüler lernt anders. Meine Aufgabe ist es, den richtigen Zugang zum Lernstoff zu finden. Oft arbeiten wir spielerisch, an einem ganz konkreten Beispiel. In dieser Hinsicht habe ich grosse Freiheiten."

"Die Zeiten der Stigmatisierung sind vorbei"

"Die Zeiten, in denen ein Besuch bei der Heilpädagogin oder beim Heilpädagogen stigmatisierend waren, sind zum Glück vorbei", ist Reto Abegglen überzeugt. "Die Schülerinnen und Schüler kommen gerne zu mir. Immer wieder erkundigen sich einige, die noch nie bei mir waren, ob sie nicht auch einmal mitdürfen." Von denen wüssten viele gar nicht, was er eigentlich genau tue.

"Während des Team-Teachings stehe ich als Lehrer vor der Klasse, in der nächsten Lektion bin ich aber wieder fort. Ich gebe keine Note, bin aber manchmal beim Elterngespräch dabei. Das kann jemand anders schon verwirren."

Reto Abegglen versteht sich als "Anwalt" der Schülerinnen und Schüler. "Das sollte die innere Haltung jeder Lehrperson sein", sagt er. "Etliche Kinder mit schulischen Problemen wachsen in einem Milieu auf, in dem sie sich nicht gut entwickeln können und sich nicht wohlfühlen. Es gilt, in der Schule ein besseres Lernumfeld zu bieten und ein anderes Selbstverständnis aufzubauen. Und diese Schülerinnen und Schüler brauchen jemand, der an sie glaubt und für sie einsteht."

Förderung gibt's fast nur in Mathematik und Deutsch

"Mein Beruf bietet viele Freiheiten und viel Kreativität – aber er beschränkt sich fast ausschliesslich auf die Fächer Mathematik und Deutsch", erzählt Reto Abegglen. Es seien diejenigen Fächer, in denen am meisten Förderbedarf bestehe. Manchmal kämen auch noch die Fremdsprachen dazu. "Hier sind die Defizite aber oft so gross, dass ich eher beratend beistehe. Zum Beispiel bei der Frage, ob die Schülerin oder der Schüler vom Unterricht dispensiert werden soll."

Die Beschränkung auf diese wenigen Fächer sei etwas schade, findet der mittlerweile diplomierte Heilpädagoge, denn auch in anderen Fächern bestünde oft Förderbedarf.

Reto Abegglen sieht als zukünftiger Heilpädagoge in viele Klassenzimmer hinein. "Jedes ist ein Mikrokosmos für sich", findet er. "Das ist sehr interessant – aber auch herausfordernd." Als Heilpädagogin, als Heilpädagoge müsse man ein gutes Gespür für den jeweiligen Unterrichtsstil und die Unterrichtssituation haben. Gute kommunikative Kompetenzen seien ebenfalls von Vorteil.

Abegglen empfiehlt seinen Beruf allen weiter, die gerne vielseitig arbeiten. Und er wünscht sich, dass mehr Männer den Beruf des Heilpädagogen ergreifen. "In unserem Beruf braucht es Männer genauso wie Frauen."

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Porträt Heilpädagogin

Heilpädagogin in einer Sonderschule

Dominique Riesen ist gerne Heilpädagogin. Die Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern mit oder ohne Lernschwierigkeiten brauche viel Geduld und fordere stets heraus. Doch die Fortschritte der Kinder geben ihrer Arbeit Sinn und motivieren sie immer wieder aufs Neue.

"Die Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler im Weissenheim könnten unterschiedlicher kaum sein", sagt Dominique Riesen. Sie arbeitet seit vier Jahren als Heilpädagogin im Schulheim Weissenheim in Bern. Viele der Kinder und Jugendlichen, die hier leben und zur Schule gehen, haben bereits eine bewegte Schullaufbahn hinter sich. "Wir versuchen, die Freude am Lernen zu wecken und sie wieder an den Schulrhythmus zu gewöhnen."

Einzelnen Schülerinnen oder Schülern gelingt die Wiedereingliederung in die Volksschule. In der Regel bleiben sie jedoch im Sonderschulsetting. "Die Schülerinnen und Schüler mit grösseren Schwierigkeiten können bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit im Weissenheim bleiben."

Klassenlehrerin und Heilpädagogin

Dominique Riesen hat einige Jahre als Klassenlehrerin auf der Mittelstufe unterrichtet und während ihrer Ausbildung zur Heilpädagogin auch in der integrativen Förderung gearbeitet. Im Weissenheim führt sie jetzt wieder eine eigene Klasse – erneut eine Mittelstufe. Dominique Riesen arbeitet 80 Prozent.

Sie unterrichtet die Klasse gemeinsam mit ihrem Stellenpartner und einer Praktikantin. "Mir gefällt es, dass ich weiterhin Klassenlehrerin sein und heilpädagogisch arbeiten kann."


Im Vergleich zu einem üblichen Schultag an der Volksschule weist der Alltag im Weissenheim einige Besonderheiten auf: "Der Schultag ist stark ritualisiert. Das sorgt für Stabilität und Struktur", erklärt Dominique Riesen. Am Mittag werden die Schülerinnen und Schüler von sozialpädagogischen Fachleuten betreut.

Deutsch, Math, Eier-Ämtli

Zwei Lektionen pro Woche verbringen Dominique Riesen und ihre Klasse zudem auf dem Hof, der zum Schulheim gehört. Im Turnus ist jede Klasse einmal für die Tiere zuständig, pflanzt Kartoffeln oder pflückt Beeren und Kirschen. Dazu kommen individuelle Ämtli.

In ihrer Klasse ist ein Junge für die Hühner zuständig. Jeden Vormittag füttert er die Tiere und sammelt die Eier ein. "Die Arbeit auf dem Hof fördert die Fachkompetenz im Bereich Naturkunde und bietet Abwechslung zum Schulzimmer", erzählt Dominique Riesen. "Gerade für Kinder, die sich sitzend nicht so lange konzentrieren können, sind die Stunden auf dem Hof und Ämtli wie das Eierholen wertvoll."


Neben dem Unterricht und dem Hof besuchen viele Kinder und Jugendliche noch verschiedene Therapieangebote im Weissenheim, etwa Logopädie, Musiktherapie oder die Plastiziertherapie. "Jedes Kind hat einen individuellen Stundenplan. Das führt dazu, dass ich oft nicht mit der ganzen Klasse arbeiten kann."

Welche Eigenschaften braucht eine Heilpädagogin, ein Heilpädagoge?

"Ganz wichtig ist ein positives Menschenbild", sagt Dominique Riesen überzeugt. "Die Arbeit mit zum Teil sehr verhaltensauffälligen Kindern fordert einen ganz schön heraus. Da ist es wichtig, positiv zu bleiben, lösungs- und ressourcenorientiert zu handeln, geduldig zu sein und möglichst vielfältige Zugänge zu ermöglichen."

Und die Kräfte müsse man gut einteilen. "Am Anfang habe ich zum Beispiel viel zu Hause vorbereitet. Jetzt erledige ich alles in der Schule." Natürlich könne es ab und zu vorkommen, dass herausfordernde Situationen einen am Abend oder zu Hause beschäftigen. Damit müsse man lernen umzugehen.

Für Dominique Riesen überwiegt aber ganz klar das Positive in ihrem Beruf und davon gebe es viel: "Die Kinder sind oft sehr dankbar und froh, wenn man sie unterstützt. Und sie alle machen Fortschritte. Manchmal kleinere, manchmal grössere. Zu sehen, wie wir zusammen Schritt für Schritt etwas aufbauen und entwickeln können, macht die Arbeit enorm motivierend und gibt ihr Sinn."