Wer Tagesschule sagt, meint oft auch Mittagsbetreuung – und dabei insbesondere die Verpflegung. In städtischen Gebieten setzen sich mittlerweile bis zu 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler an die Esstische. Was den Mitarbeitenden mitunter logistische Spitzenleistungen abverlangt. Und zur Frage führt: Gibt es andere Lösungen? "Ja", sagt Michelle Jutzi, Dozentin am Institut für Weiterbildung und Dienstleistungen (IWD) der PHBern. "Deshalb haben wir in den beiden letzten Jahren viele Tagesschulen beraten und Kurse für Betreuungsteams durchgeführt." Speziell mit Blick auf die räumlichen Möglichkeiten. EDUCATION wollte es genauer wissen.
Angesichts der Nachfrage: Müssen wir bei Mittagstischen grundsätzlich umdenken?
Michelle Jutzi: Das Mittagessen ist von unseren persönlichen Werten geprägt – von den Eltern oder Grosseltern. Oft mit dem Bild im Kopf, dass alle zusammen am Familientisch sitzen und die Kinder individuell betreut werden. Aber das ist in einem institutionellen Rahmen wie einer Tagesschule nicht bzw. nicht mehr immer umsetzbar. In solchen Fällen lohnt es sich, über Alternativen wie einen Schichtbetrieb oder das sogenannte Kinderrestaurant nachzudenken.
Um was geht es bei Kinderrestaurants?
Um eine offenere Form, die Betreuung über Mittag einschliesslich des Essens zu gestalten, und zwar so, dass die Kinder mehr mitbestimmen und selbstständiger handeln können. Etwa indem sie sagen, mit wem sie essen möchten. Oder wann, das heisst, ob sie zuerst noch spielen oder in die Turnhalle gehen möchten. Wenn Kinder mehr Selbstbestimmung beim Essen haben, zeigen sie ein besseres Essverhalten und fühlen sich wohler. Gleichzeitig werden die Mitarbeitenden entlastet und können sich dank flexibler Zeitfenster für die Mahlzeiten stärker der Betreuung widmen.
In welchen Situationen ist eine solche Lösung sinnvoll?
Sie eignet sich vor allem für Tagesschulen, die merken, dass es am Mittag sehr lärmig und hektisch ist, mit vielen Kindern auf engem Raum. Wenn kleinere Tagesschulen das Familienmodell gut umsetzen können, sieht es anders aus. Dann macht es weiterhin Sinn, sich mit den Kindern hinzusetzen und gemeinsam zu essen. Der Entscheid für dieses oder jenes Modell hängt allerdings nicht von einer bestimmten Anzahl Kinder ab: Es kommt in erster Linie auf die Räumlichkeiten an, um sich zu überlegen, ob es organisatorisch bessere Lösungen gibt.
Wie berät die PHBern Tagesschulen?
Häufig kommen diese Schulen auf uns zu, wenn Veränderungen bei den Räumlichkeiten oder im Team anstehen und es sich anbietet, auch die Form der Mittagsbetreuung zu überprüfen. Dann machen wir mit den Mitarbeitenden vor Ort zuerst eine Bestandesaufnahme: Was finden sie aktuell schwierig, was gefällt ihnen, wie sehen die Räumlichkeiten aus? Anschliessend überlegen wir zusammen, wie man Ideen umsetzen kann, mit mehr Selbstbestimmung in verschiedenen Bereichen. Wobei es nicht das Ziel ist, überall eine Situation mit völliger Entscheidungsfreiheit für die Kinder zu schaffen. Der Fokus liegt vielmehr darauf, dass die Betreuungsteams diskutieren, wo sie bei der Gestaltung des Angebots einschliesslich des Essens Freiheiten geben und wo sie Regeln setzen wollen – damit das Mittagessen eben auch mit Dutzenden Teilnehmenden funktioniert.