Mit der VR-Brille in den Wasserkreislauf eintauchen

In der Mediothek der PHBern gibt es seit Neustem VR-Brillen zum Ausleihen. Damit können die Kinder über den Wolken schweben oder Regen auslösen. Lernspass pur, ermöglicht durch ein Forschungsprojekt.
NEWS —

Brille auf und eintauchen in eine Welt, die von blossem Auge nicht erkennbar ist. Dank Virtual-Reality-(VR-)Brillen können 5./6.-Klässlerinnen und -Klässler seit Neustem das Universum des Wassers hautnah miterleben. In Begleitung von Onos, der aussieht wie ein aus "Star Wars" entsprungener Droide, erkunden sie die virtuelle Lernumgebung. Onos kommt von einem fernen Planeten, auf dem es nicht mehr regnet. Er und die Kinder sollen herausfinden, wie der Wasserkreislauf auf der Erde funktioniert. Was noch vor zwei Jahren einer Walliser Schule aus dem SNF-Forschungsprojekt vorbehalten war, ist nun für alle Schulklassen des Zyklus 2 im Kanton Bern verfügbar. Entsprechende Materialkisten mit VR-Brillen (Halbklassenset) können seit August 2024 in der Mediothek der PHBern ausgeliehen werden.

Lerneffekt grösser, Motivation auch

Mit zwei Handgriffen, den sogenannten Controllern, steuern die Kinder die Knöpfe und Schalter in der virtuellen Welt an. Sie hantieren am Temperaturhebel und lassen so die Moleküle tanzen oder erstarren. Die Methode mit VR-Brillen nennt sich in der Forschungssprache immersiv. Man taucht in eine realistische und allumfassende Erfahrung ein, bei der die Nutzenden das Gefühl haben, Teil der dargestellten Welt zu sein. Erfreulich ist, dass sich die Forschungsthese bestätigt hat: Der Lerneffekt mit VR ist im Vergleich zu einem herkömmlichen Setting nachweislich grösser. Die Schülerinnen und Schüler zeigten sich nach einer Session mit den VR- Brillen ausserdem motivierter, weil die Lernerfahrung viel intensiver und spielerischer ist als mit einem zweidimensionalen Text oder Video. Die Kinder untermauern die Forschungsresultate mit Aussagen wie: "Es war viel unterhaltsamer, und ich habe auch schneller gelernt, weil es anders erklärt wurde und ich selbst experimentieren konnte." Oder: "Ich wollte schon immer wissen, wie es regnet. Und jetzt weiss ich es!"

Praxischeck bestanden

Das Forschungsprojekt hat ebenfalls gezeigt, dass der Einsatz von VR-Brillen im regulären Unterricht machbar ist und sie wirklich einen Mehrwert gegenüber herkömmlichen Lehrmitteln bieten. Dieser Aspekt war für Josua Dubach, Mitarbeiter des PHBern-Projektteams, matchentscheidend. Denn die Mitglieder des Forschungsteams sind immer wieder auf Skepsis gestossen, wenn sie vom Projekt erzählten.
"Der Praxischeck war erfolgreich. Ich bin selbst Primarlehrer, und mir war der einfache Transfer von der Forschung in den Unterricht enorm wichtig." Die Wahl fiel auf den Wasserkreislauf, weil es ein exemplarisches Thema ist, das in der Primarschule eine grosse Rolle spielt. Der Wasserkreislauf sei ein schwieriges Lernfeld für Kinder, so Dubach, da nicht alle Strukturen und Prozesse beobachtbar sind. Erfahrungsbasiertes Lernen ist mit den üblichen Materialien nur teilweise möglich. Die Idee war, mit VR diese nicht direkt beobachtbaren Prozesse und Strukturen sichtbar zu machen und damit Interaktionen zu ermöglichen.

Ein langer Weg

Der Weg vom Forschungsprojekt bis zur Materialkiste war lang und voller Überraschungen, um nicht zu sagen: Hürden. Bis die App die Anforderungen des Forschungsteams erfüllte, brauchte es viel Feinjustierung auf allen Ebenen. Sebastian Tempelmann, Leiter Forschungsschwerpunktprogramm Fachdidaktische Forschung an der PHBern, erzählt: "Es war für uns wie auch für die Programmierenden Neuland. Denn ein Forschungstool braucht andere Features als ein Game." Von der ersten Skizze bis zum fertigen Lernprogramm dauerte es ein Jahr. Sebastian Tempelmann zeigt sich mit dem Resultat sichtlich zufrieden, denn "VR hat das Potenzial, ein grundlegendes Problem im naturwissenschaftlichen Unterricht zu lösen: Viele Prozesse oder Strukturen wie Moleküle sind weder sichtbar noch spür- oder hörbar. Aber gerade Kinder brauchen sensorische Erfahrungen, um effektiv zu lernen. Mit VR können sie diese sonst unsichtbaren Strukturen nicht nur wie echt erleben, sondern auch aktiv mit ihnen interagieren."
Das Projekt verlangte viel Abstimmung und förderte die Interdisziplinarität zwischen Fachdidaktik, Forschungsanforderungen, Programmieren, Anwendungsfreundlichkeit usw. Die Ergebnisse sprechen für sich. Die Virtual-Reality-Lernumgebung wurde 2022 in einer experimentellen Studie mit acht Primarschulklassen getestet. Die Klassen, die mit der VR-Brille gearbeitet hatten, zeigten einen signifikant höheren Lernzuwachs als diejenigen, die nur den Laptop verwendeten. Mit diesen Resultaten war der Weg, der von Anfang an auch das Ziel war – nämlich etwas zu erforschen, das auch in der Schulpraxis zur Anwendung kommt – geebnet.

SNF-Forschungsprojekt: virtuelle Realität in der Primarschule

Das Forschungsprojekt, bei dem die PHBern mit der FernUni Schweiz im Wallis und der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (PH FHNW) zusammengearbeitet hat, läuft seit 2020 und endet 2024. Finanziert wird das Projekt vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF).

Mehr über VR in der Primarschule erfahren

Materialkiste und IdeenSet

Auch Pascal Piller, Verantwortlicher für die ausleihbaren Materialkisten in der Mediothek der PHBern am Helvetiaplatz, schätzt die Vielseitigkeit der App: "Es ist auch für mich als Erwachsener sehr eindrücklich, wenn ich mit einer Lupe die Moleküle untersuche und spüre, wie sie beginnen zu vibrieren, wenn ich die Temperatur erhöhe. Oder wie ich in eine Wolke hineinsegeln und dann einen Regentropfen auslösen kann." Momentan gibt es Onos und die Welt des Wassers erst auf Deutsch. Denkbar ist jedoch auch, dass die App in andere Sprachen übersetzt wird. Vorerst stehen zwei Kisten mit je sechs VR-Brillen und Zubehör zur Verfügung. Sie eignen sich für Kinder der 5./6. Klasse. Die App mit der VR-Lernumgebung (siehe Link unten) und das didaktische Material mit den Planungen und Kommentaren für die Lehrpersonen sowie den Arbeitsmaterialien sind als IdeenSet über die Webseite der PHBern frei zugänglich. Weitere Anwendungen mit VR sind angedacht, aber noch nicht spruchreif. Bis dahin – abtauchen in die Welt des Wassers!

Bildung schafft Chancen – dafür setzen sich die Forschenden der PHBern ein.

Das Institut für Forschung, Entwicklung und Evaluation der PHBern fördert mit exzellenter Forschung, gezielter Nachwuchsförderung und einem offenen Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen hochwertige Bildung für alle.