Didaktischer Kommentar

Kinder beim Spielen mit Geometrischen Formen

Relevanz und Übersicht

Bedeutung des Geometrieunterrichts

Gemäss Lehrplan 21 (Moser & Schmocker, 2014, 4) ist Mathematik ein Werkzeug, um die Umwelt zu erschliessen und zu verstehen. Jedes Denken, jede kognitive Kompetenz bedient sich visueller und geometrischer Stützen. Die intellektuelle Entwicklung ist nach Radatz & Rickmeyer (1991, 7) eng verbunden mit den Fähigkeiten, visuell dargebotene Informationen aufzunehmen, zu analysieren und zu speichern und mit ihnen in der Vorstellung zu operieren. Daher sind geometrische Erfahrungen und entsprechendes Können grundlegend für die kognitive Entwicklung eines Kindes. „Wohl kaum ein anderer Inhaltsbereich des gesamten Grundschulcurriculums ist besser geeignet, die allgemeinen Ziele dieser Schulstufe zu erreichen als die Geometrie im Rahmen des Mathematikunterrichts“.

Der Geometrieunterricht leistet einen wichtigen Beitrag zur Erweiterung der Lebens- und Erfahrungsumwelten. Er unterstützt die Entfaltung des räumlichen Wahrnehmens und Denkens, die Entwicklung des Orientierungsvermögens, die Schulung der zeichnerischen Fähigkeiten und die Präzisierung der Sprache. Geometrie kann durch kreativen Unterricht mit Materialien zur Förderung der Phantasie, der Selbständigkeit und des Interessens zum Lösen mathematischer Probleme beitragen (Radatz & Rickmeyer, 1991, 7). Die Geometrie bietet viele Möglichkeiten von offenen Aufgabenstellungen, die Übungsmöglichkeiten am gemeinsamen Gegenstand auf verschiedenen Niveaus ermöglichen. Aktiv entdeckendes und handelndes Lernen spielen in der heilpädagogischen Förderung eine zentrale Rolle. Der Geometrieunterricht bietet dafür viele Möglichkeiten.

Heilpädagogische Relevanz

Nach Scherer & Moser Opitz (2010, 179) wird die Geometrie im Mathematikunterricht oft nicht hinreichend gewürdigt, obwohl ihr eine zentrale Bedeutung zugesprochen wird. Mit Bezug auf verschiedene Quellen weisen sie darauf hin, dass viele Situationen des alltäglichen Lebens geometrische Kompetenzen erfordern. Darum ist die Berücksichtigung geometrischer Inhalte gerade für Lernende mit Lernschwierigkeiten im Bereich Arithmetik von grosser Bedeutung. Rechenstörungen stellen Störungen des Rechnens dar und nicht Störungen des logischen Denkens und des Mathematisierens, darum haben Lernende mit mathematischen Lernschwierigkeiten nicht zwangsläufig auch Schwierigkeiten im Bereich Geometrie.

Das Darstellen und Skizzieren von Aufgaben und das Protokollieren bzw. Beschreiben von Lösungswegen als wichtige Teilkompetenzen fördern das Vorstellungsvermögen und die Problemlösefähigkeiten. Die Raumvorstellung ist bedeutsam für das Erkennen und Anwenden von Schrift, für die kognitive Flexibilität und für das Problemlöseverhalten. Es ist wichtig, dass Lernende mit Lernschwierigkeiten oft Gelegenheit bekommen, an solchen Aufgaben zu arbeiten. Möglicherweise gelingen vermehrt Erfolge im Bereich der Geometrie (Scherer & Moser Opitz 2010, 179). In vielen handwerklichen Berufen, welche oft Berufschancen für Lernende mit Lernschwierigkeiten bieten, sind räumliches Vorstellungsvermögen und geometrisches Wissen zudem zentral.

Geometrische Themen eignen sich gut für integrativen Unterricht, weil der Geometrieunterricht in den ersten beiden Zyklen viel mit Experimentieren und Gestalten zu tun hat. Dies unterstützt kooperatives, handelndes und aktiv entdeckendes Lernen und ermöglicht Individualisierung. Erfolgschancen fördern die Motivation.

Vorstellungen und Vorkenntnisse

Im Lehrplan 21 wird die Geometrie als „Form und Raum“ bezeichnet. Die Inhalte des IdeenSets Geometrie bilden eine Ergänzung zu den Aufgaben im Zahlenbuch und ersetzen nicht die wichtige Komponente des Handelns, welche im Geometrieunterricht von zentraler Bedeutung sein sollte.

Nach Franke (2007, 111) werden Begriffe über aktive Auseinandersetzung auf sprachlicher und handelnder Ebene gewonnen. Fachbegriffe entwickeln sich nicht von alleine, sondern werden durch Anregungen im Unterricht aufgebaut. Dies kann ein langfristiger Prozess sein, welcher in unterschiedlichen Stufen abläuft (vgl. Franke, 2007, 111-112). 

  1. Intuitives Begriffsverständnis
    Auf dieser Stufe können Repräsentanten für einen Begriff gefunden werden. Zudem erfolgt ein Vergleich mit einem Prototyp, welcher mit Formulierungen wie „sieht aus wie…“ begründet werden kann.
  2. Inhaltliches Begriffsverständnis
    Die Lernenden können Eigenschaften des Begriffs erfassen. Dabei untersuchen sie, ob eine Figur Repräsentant eines Begriffs ist oder nicht und beschreiben diese mit Hilfe der begriffsbestimmenden Eigenschaften.
  3. Integriertes Begriffsverständnis
    Die Lernenden können Beziehungen zwischen den Eigenschaften eines Begriffs oder auch die Beziehungen zwischen Begriffen erfassen und diese Unter- und Oberbegriffen zuordnen. Auf dieser Stufe erfolgt die eigentliche Begriffsdefinition. Diese Stufe wird in der Regel frühestens auf der Mittelstufe erreicht.

Abschliessend erwähnt Franke (2007, 112), dass dies keine Entwicklungsstufen der Kinder eines bestimmten Alters sind. Sie sind nur als grobe Orientierung für den Unterricht gedacht.

Das Abbilden, Zerlegen und Zusammensetzen von Figuren und Körpern fördert das räumliche Vorstellungsvermögen. Für die Entwicklung räumlicher Fähigkeiten ist die visuelle Wahrnehmung ein bedeutender Aspekt. Ihr werden die visuomotorische Koordination, die Figur-Grund-Unterscheidung, die Wahrnehmungskonstanz und die räumliche Orientierung zugeordnet (vgl. Franke, 2007, 33). Die visuomotorische Koordination ist die Fähigkeit des Menschen, das Sehen mit dem eigenen Körper oder Teilen des Körpers zu koordinieren. Dies wird beispielsweise beim Fangen eines Balles deutlich. Damit das Kind den Ball fangen kann, muss es das Sehen des Balls mit der Fangbewegung der Arme koordinieren (vgl. Franke, 2007, 37). Mit der Figur-Grund-Unterscheidung ist gemeint, dass Menschen von Geburt an Figur und Hintergrund unterscheiden können. Ohne diese Fähigkeit wäre der Mensch nicht in der Lage, Gegenstände zu erkennen und sich im Raum orientieren zu können (vgl. Franke, 2007, 33). Die Wahrnehmungskonstanz beschreibt die Fähigkeit, Objekte zu erkennen, unabhängig von der Perspektive. Ein Tisch sieht von oben ganz anders aus als von der Seite – trotzdem erkennen wir ihn beide Male als Tisch (vgl. Franke, 2007, 39). Mit räumlicher Orientierung ist gemeint, den Standort und die räumlichen Beziehungen zwischen verschiedenen Objekten zu erkennen, zu verstehen und zu beschreiben, zum Beispiel rechts – links, oben – unten, vorne – hinten (vgl. Franke, 2007, 46).

Franke (2007, 133-134) beschreibt, dass es wichtig ist, handelnd mit räumlichen Objekten umzugehen um geometrische Körper kennen zu lernen. Aus geometrischer Sicht eignen sich für das Kennenlernen von Körperformen solche Objekte, die das Kind ganzheitlich wahrnehmen, mit denen es in vielfältigen Aktivitäten umgehen, die es untersuchen und deren Eigenschaften und Merkmale es analysieren kann. Das Bauen gehört zu den elementaren Tätigkeiten, durch die geometrische Erkenntnisse gewonnen werden können (vgl. ebd.).

Ebene Figuren stellen ein idealisiertes Gebilde dar, was sich in der Wirklichkeit, welche räumlich ist, nirgends finden lässt (vgl. Franke, 2007, 181). In Untersuchungen wurde immer wieder deutlich, dass Kinder räumliche und ebene Objekte nicht bewusst unterscheiden. Im Unterricht ist es sicherlich möglich eine Abgrenzung zwischen den Aktivitäten mit ebenen und räumlichen Figuren vorzunehmen. Phänomene der ebenen Geometrie sollen über das Vorwissen über räumliche Objekte, sowie über das räumliche Denken erarbeitet werden (vgl. ebd.).

Lerngegenstand und thematische Schwerpunkte

Jeder Themenschwerpunkt des IdeenSets ist in drei Bereiche gegliedert.

  • Im Internet: Hier stehen den Lernenden diverse online Übungen zur Verfügung, welche als Browser-Anwendung oder mit einer App genutzt werden können.
  • Auf Papier: Diverse Unterrichtsmaterialien stehen hier der Lehrperson als Kopiervorlage für ihre Lernenden zur Verfügung.
  • Spiele: Die Lehrperson erhält eine Auswahl an möglichen geometrischen Spielen für den Unterricht.

Symmetrie

Der Themenschwerpunkt Symmetrie bietet eine Sammlung an unterschiedlichen Aufgaben für den 1. und 2. Zyklus. Die Inhalte ergänzen die Aufgaben aus dem Zahlenbuch. Die Inhalte aus dem Themenschwerpunkt Symmetrie bieten den Lernenden die Möglichkeit, den bereits behandelten Stoff aus dem Zahlenbuch zu vertiefen und zu festigen.

Formen, Flächen und Körper

Dieser Themenschwerpunkt ist in drei Bereiche gegliedert: Formen, Flächen und Körper.

  • Formen: Den Lernenden stehen verschiedene Unterrichtsmaterialien zum Thema Formen zur Verfügung. Sie eignen sich sowohl für den 1. wie auch den 2. Zyklus. Ein Video, online Übungen und Arbeitsblätter stehen für die Lernenden bereit. Auch das Tangram-Spiel wird in diesem Bereich aufgegriffen.
  • Flächen: Die meisten online Anwendungen in diesem Bereich sind für den 2. Zyklus gedacht. Die Inhalte der Plattform "Aufgabenfuchs" beinhalten sehr detaillierte Aufgabenstellungen. Teile daraus eignen sich auch für eine Einführung ins Thema. Die Unterrichtsmaterialien aus dem Bereich "auf Papier" eignen sich nicht nur für den 2. Zyklus, sondern durchaus auch für den 1. Zyklus.
  • Körper: Die Materialien decken mehrheitlich Inhalte aus dem 2. Zyklus ab. Das Augenmerk in diesem Bereich liegt beim Erkennen und Benennen von geometrischen Körpern und beim Thema "Würfelnetze".

Würfelgebäude und Quaderansichten

Dieser Themenschwerpunkt behandelt die beiden Themen "Würfelgebäude" und "Quaderansichten". Wobei letzteres nur in sehr geringem Umfang vorhanden ist. Das Thema Bauplan von Würfelgebäuden steht im Zentrum und wird ergänzt durch Bereiche wie "Würfelgebäude drehen und kippen" oder "Würfelgebäude zu einem Würfel ergänzen".

Zirkel und Geodreieck

Zirkel und Geodreieck ist ein Thema, welches vor allem handelnd (analog) angegangen wird. Deshalb steht auch nur eine online Anwendung dazu im IdeenSet zur Verfügung. Diese behandelt das Thema Winkel. Nur die ersten drei Aufgaben sind für den 2. Zyklus geeignet. Die restlichen Aufgaben sind für den 2. Zyklus zu anspruchsvoll. Der Bereich "auf Papier" beinhaltet diverse Arbeitsblätter zum Konstruieren mit Geodreieck und Zirkel. Ausserdem steht ein Download für das Themenheft "Zirkel" zur Verfügung, in welchem die Funktionsweise des Zirkels genauer angeschaut wird und entsprechende Übungen dazu durchgeführt werden können.

Verlauf und Lehrplanbezug

Verlauf

Da es sich bei diesem IdeenSet um eine Sammlung von verschiedenen Materialien handelt, gibt es keinen Verlauf im herkömmlichen Sinne. Die Materialien dienen als Ergänzung zu den Inhalten, die im Zahlenbuch und anderen Lehrmitteln im Bereich Geometrie behandelt werden.

Lehrplanbezug

Der Fachbereichslehrplan unterscheidet die drei Handlungsaspekte Operieren und Benennen, Erforschen und Argumentieren sowie Mathematisieren und Darstellen.

Operieren und Benennen

Beim Operieren werden Begriffe, Zahlen, Formen oder Körper in Beziehung gesetzt oder verändert und Ergebnisse festgehalten.
Das Benennen betont das Verwenden der mathematischen Fachsprache. Sie erleichtert eine klare Kommunikation und hilft, Missverständnisse zu vermeiden.

MA.2.A.1, MA.2.A.2, MA.2.A.3,
 

Erforschen und Argumentieren

Beim Erforschen und Argumentieren erkunden und begründen die Lernenden mathematische Strukturen. Dabei können beispielhafte oder allgemeine Einsichten, Zusammenhänge oder Beziehungen entdeckt, beschrieben, bewiesen, erklärt oder beurteilt werden.

MA.2.B.1
 

Mathematisieren und Darstellen

In mathematischen Kontexten bedeutet Mathematisieren, Beziehungen, Analogien oder Strukturen zu erkennen und durch Regeln, Gesetze oder Formeln zu verallgemeinern. Umgekehrt können Terme und Formeln visualisiert bzw. mit Modellen erläutert werden.
Das Darstellen von Erkenntnissen erfolgt sprachlich, bildhaft, graphisch abstrakt und formal oder auch konkret mit Gegenständen und Handlungen. Der Begriff Darstellen wird weit gefasst. Er umfasst alle Tätigkeiten, die Gedanken, Muster oder Sachverhalte nachvollziehbar, erkennbar oder verständlich machen.

MA.2.C.1, MA.2.C.2, MA.2.C.3
 

Überfachliche Kompetenzen

Die Lernenden ...

  • können Herausforderungen annehmen und konstruktiv damit umgehen.
  • können sich auf eine Aufgabe konzentrieren und ausdauernd und diszipliniert daran arbeiten.
  • können Fachausdrücke und Textsorten aus den verschiedenen Fachbereichen verstehen und anwenden.
  • können Lern- und Arbeitsprozesse durchführen, dokumentieren und reflektieren.

Quellen

  • Franke, Marianne (2007). Didaktik der Geometrie in der Grundschule [2. Aufl.]. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.
  • Moser, Francesca; Schmocker, Kathrin (2014). Lehrplan 21. PDF. Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz (D-EDK). Luzern: Hier verfügbar. März 2015.
  • Radatz, Hendrik & Rickmeyer, Knut (1991). Handbuch für den Geometrieunterricht an Grundschulen. Hannover: Schroedel.
  • Scherer, Petra & Moser Opitz, Elisabeth (2010). Fördern im Mathematikunterricht der Primarstufe. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.
  • Schmassmann, Margret; Moser Opitz, Elisabeth (2011). Heilpädagogischer Kommentar zum Schweizer Zahlenbuch 5+6. Zug: Klett und Balmer AG.