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Relevanz und Übersicht

Die Bedeutung des Lesens ist sowohl für die Schullaufbahn als auch für die weitere Bildung aller Lernenden immens. Lesen kann in der «Informationsgesellschaft» und «Wissenskultur» daher als elementares Medium des Lernens bezeichnet werden (Rosebrock & Nix, 2020, S. 7). Somit ist die Leseförderung ein zentrales didaktisches Thema. Zahlreiche empirische Studien zeigen einen engen Zusammenhang zwischen Lesemotivation und Lesekompetenz (Förster, 2018, S. 69; Möller & Schiefele, 2004, S. 123; Wrobel, 2009, S. 58). Daher wird im vorliegenden IdeenSet die Stärkung der Lesemotivation fokussiert.


Ausgangspunkt ist das Mehrebenenmodell der Lesekompetenz von Rosebrock und Nix (2020, S. 15). Dieses Modell beleuchtet die Prozess-, Subjekt- und soziale Ebene des Lesevorgangs im Rahmen der schulischen Förderung. Neben kognitiven Fähigkeiten auf der Prozessebene müssen auch Aspekte auf der Ebene der Person (Subjektebene) und Einflüsse aus dem sozialen Umfeld (soziale Ebene) berücksichtigt werden. Die Motivation, die erforderlich ist, um komplexe Lernprozesse des Lesens bewältigen zu können, ist auf der Subjektebene angesiedelt (Schiefele & Schaffner, 2020, S. 164). 


Rosebrock und Nix (2020, S. 12) deuten darauf hin, dass der Einsatz von Lautleseverfahren und Vielleseverfahren vielversprechend ist, um Lernende auf den verschiedenen Ebenen des Lesekompetenzmodells zu fördern. Beide Verfahren können u.a. die Lesemotivation stärken.


Dieses IdeenSet unterstützt Lehrpersonen und Schulische Heilpädagog*innen bei der Förderung der Lesemotivation aller Lernenden. Konkret werden das Lautlesetandem (Lautleseverfahren) von Rosebrock, Nix, Rieckmann und Gold (2019) und das unterstützende, eigenständigen Lesen (Vielleseverfahren) nach Rieckmann (2020) für den Einsatz im Unterricht aufbereitet.
 

Vorstellungen und Vorkenntnisse

Lesemotivation

Die Lesemotivation wird gemäss Conradi, Gee Jang und McKenna (2014, S. 154) als „Antrieb zu lesen, der aus einem umfassenden Bestand individueller Überzeugungen, Einstellungen und Zielen zum Lesen resultiert“ definiert. Diese Definition zeigt, dass die Lesemotivation weit mehr umfasst als nur das Vergnügen am Lesen (Philipp, 2017, S. 141). Die motivationalen Überzeugungen ergeben sich einerseits aus den individuellen Interessen und der lesebezogenen Zielorientierung. Diese Elemente bestimmen massgeblich, ob und warum eine Person einen Text liest. Andererseits ist die Lesemotivation wesentlich durch Kompetenzüberzeugungen wie das lesebezogene Selbstkonzept oder die lesebezogene Selbstwirksamkeit geprägt. Wenn eine Person davon überzeugt ist, dass sie das Lesen beherrscht, wird der Leseakt als wertvoller und vergnüglicher empfunden (Möller & Schiefele, 2004, S. 106). In Schulen werden verschiedene leseanimierende Methoden eingesetzt, um die Lesemotivation zu fördern wie zum Beispiel Lesenächte, Bibliotheksbesuche, Buchvorstellungen und Vorlesewettbewerbe (Rosebrock & Nix, 2020, S. 110). Allerdings profitieren insbesondere diejenigen Lernenden von diesen Massnahmen, die bereits einen positiven Zugang zu Büchern erfahren haben (soziale Ebene) und in der Lage sind, altersgerechte Texte selbstständig zu lesen (Prozessebene) (Stalder, 2013, S. 68). Lernenden mit Leseschwierigkeiten oder Lernenden, die mit der Vielfältigkeit der Lesekultur nur wenig Erfahrungen machen konnten, fehlt oft die positive Beziehung zu Büchern, wodurch es schwierig ist, alleine durch Leseanimation, eine langfristige Lesemotivation aufzubauen (Rosebrock & Nix, 2020, 111f.). Damit sich die Lesemotivation aller Lernenden nachhaltig entwickeln kann, ist daher eine fachlich fundierte Förderung in der Schule von grosser Bedeutung.

Konsequenzen für den Unterricht

Die Entwicklung des IdeenSets basiert auf der Auseinandersetzung mit den theoretischen Herausforderungen und Konsequenzen in Bezug auf die Lesemotivation. Als erstes Ergebnis dieser Arbeit entstand eine detaillierte "Checkliste zur Förderung der Lesemotivation" für alle Lernenden. Diese Checkliste berücksichtigt die engen Verbindungen zwischen den drei Ebenen des Mehrebenenmodells und ist daher ein Instrument für Lehrpersonen und Schulische Heilpädagog*innen, um gezielt Massnahmen zur Stärkung der Lesemotivation in schulischen Kontexten zu ergreifen.  Die ausgewählten, bestehenden Verfahren Lesetandem und unterstütztes, eigenständiges Lesen wurden mit wichtigen motivationsförderlichen Aspekten aus der Checkliste ergänzt und weiterentwickelt. 

Lerngegenstand und thematische Schwerpunkte

Lautleseverfahren

Das Lautlesetandem ist eine Methode, bei der zwei Personen zusammen lesen und dabei laut vorlesen. Das Verfahren basiert auf dem Konzept des "Paired Reading". Studien haben gezeigt, dass das Lautlesetandem besonders gut geeignet ist, um die grundlegenden Leseprozesse zu fördern und die Leseflüssigkeit der Lernenden zu verbessern (Souvignier, 2021, S. 184; Rosebrock & Nix, 2020, S. 33; Rosebrock et al., 2019, S. 97). Diese Verbesserung ist u.a. deshalb wichtig, weil eine unzureichende Leseflüssigkeit dazu führen kann, dass Lesende Vermeidungsstrategien entwickeln und Texten und Büchern ausweichen, was zu einem „Teufelskreis des Nicht-Lesens“ führen kann (Rosebrock et al., 2019, S. 11). Lautleseverfahren tragen nebst der Schulung der Leseflüssigkeit zum Leseverstehen bei, können das lesebezogene Selbstkonzept stärken und lassen eine positive Wirkung auf die  Lesemotivation vermuten (Rosebrock & Nix, 2020, S.33).

 

Vielleseverfahren

Das Konzept des unterstützten, eigenständigen Lesens beinhaltet die Begleitung und Unterstützung der Lernenden während des freien Lesens, um ihnen das selbständige Lesen eines Buches zu ermöglichen und ihre Lesemotivation und Lesekompetenz aufzubauen bzw. aufrecht zu erhalten. Die Begleitung während der freien Lesezeit stärkt das lesebezogene Selbstkonzept und fördert die aktive Einbindung der Lernenden in den Leselernprozess (Rosebrock & Nix, 2020, S. 63; Bertschi-Kaufmann, 2021, S. 173; Rieckmann, 2020, S. 28). In diesem Sinne können Vielleseverfahren als Vorläufer für die vielfältigen Verfahren der Leseanimation bezeichnet werden (Rosebrock & Nix, 2020, S. 12).

Organisation und Lehrplanbezug

Organisation

Die beschriebenen Verfahren können sowohl losgelöst voneinander im Unterricht behandelt oder nacheinander durchgeführt werden. Idealerweise beginnt die Lehrperson während eines Schulhalbjahres mit der Einführung und Durchführung des Lautlesetandems (Lautleseverfahren) und setzt im folgenden Schulhalbjahr das unterstützte, eigenständige Lesen (Vielleseverfahren) im Unterricht ein.

Wichtig: Die beiden Verfahren Lesetandem und unterstütztes, eigenständiges Lesen sind unbedingt mit weiteren Elementen der Leseförderung (z.B. Förderung von Lesestrategien, Wortschatzförderung) zu ergänzen. Sinnvollerweise besteht ein Lesekonzept der ganzen Schule, das die präzisen Aufgabenbereiche aller Beteiligten klärt.
Grundsätzlich ist bei der Leseförderung eine intensive Zusammenarbeit zwischen der Regellehrperson und der Fachperson für Schulische Heilpädagogik wichtig. Bei Förderbedarf im Lesen ist es unabdingbar, weitere relevante Elemente der Lesekompetenz in der Zusammenarbeit zwischen Regellehrpersonen und Fachpersonen für Schulische Heilpädagogik spezifisch und differenziert zu diagnostizieren sowie zu fördern.
 

Lehrplanbezug

D.1.C.1, D.2.A.1, D.2.C.1, D.2.D.1, D.6.A.1, D.6.A.2, D.6.B.1, D.6.C.1

MI.1.4, MI.2.1

Personale Kompetenzen

  • können eigene Gefühle wahrnehmen und situationsangemessen ausdrücken.
  • können ihre Interessen und Bedürfnisse wahrnehmen und formulieren.
  • können auf Lernwege zurückschauen, diese beschreiben und beurteilen.
  • können sich auf eine Aufgabe konzentrieren und ausdauernd und diszipliniert daran arbeiten.

Soziale  Kompetenzen

  • können sich in die Lage einer anderen Person versetzten und sich darüber klar werden, was diese Person denkt und fühlt.
  • können Menschen in ihren Gemeinsamkeiten und Differenzen wahrnehmen und verstehen.

Methodische Kompetenzen

  • können die Ergebnisse in unterschiedlichen Darstellungsformen wie Mindmap, Bericht, Plakat oder Referat aufbereiten und anderen näherbringen.

Lehrmittel und Grundlagen

IdeenSet_FörderungDerLesemotivationInDerKlasse_GrundlagenDerLesedidaktikUndDerSystematischenSchulischenLeseförderung

Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen schulischen Leseförderung

Buch

In der vorliegenden Neubearbeitung der „Grundlagen der Lesedidaktik" werden die verschiedenen Methoden und Ansätze der Leseförderung für die Klassenstufen 2-10 - praxisorientiert dargestellt, - im Blick auf die jeweiligen Zielgruppen analysiert, - auf Kompetenzen und die Bildungsstandards bezogen, - in ihrer Wirksamkeit bewertet und - systematisierend auf ihr gemeinsames Ziel, die Steigerung von Lesekompetenz, bezogen. Damit ist beabsichtigt, Lehrpersonen sowohl das nötige Grundlagenwissen der Lesedidaktik als auch Anwendungskriterien für das schulische Handeln an die Hand zu geben, mit deren Hilfe lesedidaktisch fundierter Unterricht in Deutsch und in den Sachfächern geplant werden kann. (Quelle: Verlag)

Quellen

Literaturverzeichnis

  • Bertschi-Kaufmann, Andrea (2021). Offene Formen der Leseförderung. ln: Bertschi- Kaufmann, Andrea & Graber, Tanja (Hrsg.), Lesekompetenz. Leseleistung.
    Leseförderung. Grundlagen, Modelle und Materialien (8. Aufl., S. 170-182). Zug: Klett und Balmer.
  • Conradi, Kristin; Jang Bong Gee & McKenna Michael C. (2014). Motivation Terminology in Reading Research: A Conceptual Review. In: Educational Psychology Review, 26 (1), 127-146.
  • Förster, Sabrina (2018). Selbstbezogene Kognitionen und Motivationen im Grundschulalter. Universität Marburg: Waxmann Verlag GmbH.
  • Möller, Jens & Schiefele, Ulrich (2004). Motivationale Grundlagen der Lesekompetenz. In: Schiefele, Ulrich; Artel, Cordula; Schneider, Wolfgang & Stanat, Petra (Hrsg.), Struktur, Entwicklung und Förderung von Lesekompetenz (S. 101-123). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Philipp, Maik (2017). Lese- und Schreibmotivation. Begriffsklärungen, Domänespezifik und Einflussfaktoren. In: Philipp, Maik (Hrsg.), Handbuch. Schriftspracherwerb und weiterführendes Lesen und Schreiben (S. 138-156). Weinheim Basel: Beltz Juventa.
  • Rieckmann, Carola (2020). Grundlagen der Lesedidaktik. Band 2: Eigenständiges Lesen
    (3. unv. Aufl.). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
  • Rosebrock, Cornelia; Nix, Daniel; Rickmann, Carola & Gold, Andreas (2019). Leseflüssigkeit fördern. Lautleseverfahren für die Primar- und Sekundarstufe (6. Aufl.). Hannover: Friedrich Verlag GmbH.
  • Rosebrock, Cornelia & Nix, Daniel (2020). Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen schulischen Leseförderung (9. akt. Aufl.). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
  • Schiefele, Ulrich & Schaffner, Ellen (2020). Motivation. In: Wild, Elke & Möller, Jens (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (3. Aufl., S. 163-181). Berlin & Heidelberg: Springer Verlag.
  • Souvignier, Elmar (2021). Das Lesen trainieren: Konzepte von Leseunterricht und Leseübung und deren Effekte. ln: Bertschi-Kaufmann, Andrea & Graber, Tanja (Hrsg.), Lesekompetenz. Leseleistung. Leseförderung. Grundlagen, Modelle und Materialien (8. Aufl., S. 182-198). Zug: Klett und Balmer.
  • Stalder, Ursula Maria (2013). Leselust in Risikogruppen. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
  • Wrobel, Dieter (2009). Individuell lesen lernen: Das Hattinger Modell zur nachhaltigen Leseförderung in der Sekundarstufe. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.
     

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