Didaktischer Kommentar

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Relevanz und Übersicht

Die heutigen Lebensbereiche sind vielschichtig und die Informationsflut nimmt immer mehr zu. Orientierungshilfen, die uns helfen, den Blick für das Wesentliche unserer menschlichen Existenz nicht zu verlieren, kommt eine zentrale Bedeutung zu. Märchen sind ein besonders geeignetes Transportmittel, denn sie führen uns zu dem zurück, was wir im Leben wirklich brauchen wie Mut, Zuversicht, Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit, in schwierigen Lebenssituationen Lösungen zu finden. Märchen haben sich über Jahrhunderte in allen Völkern und Kulturen entwickelt und bieten so Zugang zu dauerhaften und zeitlosen Weisheiten.
Sie ermöglichen das Verständnis für Andersartigkeiten, regen Diskussionen über Geschlechterrollen, Gewalt, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit an.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Märchen Orientierung bieten, Mut machen, Gefühle zulassen, die Phantasie anregen, Trost spenden, traditionelle Werte vermitteln und Handlungsweisen und Lösungsmöglichkeiten für schwierige Situation aufzeigen. Oder wie Gerald Hüther aus neurobiologischer Sicht in einem Satz sagt «Märchen sind Kraftfutter für Kinderhirne.»

Das Modell von Oliver Geister zeigt, welchen Bereichen der Pädagogik sich Märchen zuordnen lassen.

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Abbildung: Sieben Dimensionen der Märchenpädagogik (Geister, 2021, S.10)

Vorstellungen und Vorkenntnisse

Allgemeinwissen
Märchen sind vor allem durch die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm bekannt, nicht zuletzt durch die zahlreichen Verfilmungen von einigen wenigen bekannten Geschichten. Relativ unbekannt ist, dass in jedem Land und fast jeder Kultur, traditionelle, ursprünglich mündlich weitergegebene Geschichten, gesammelt wurden und zur Verfügung stehen. Die Erwachsenen waren das Hauptpublikum der Erzählenden, da sich viele Märchen mit dem sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft und der persönlichen Entwicklung des Individuums beschäftigen. Als Orientierung für das geeignete Ziel des Publikums gilt das Alter der Hauptfigur.

Grundlagen
Volksmärchen wurden nicht erfunden, sondern von der einen Generation zur anderen weitergegeben, es finden sich darin Motive, wie sie z.B. aus den griechischen Mythen bekannt sind. Jedes traditionelle Volksmärchen hat zum Ziel, die Zuhörenden an eigene Stärken und Schwächen zu erinnern, und Wege aufzuzeigen, auch in schwierigen Situationen zu einem guten Ziel zu kommen. Als Hauptfigur kann sich jene Protagonistin oder jener Protagonist bezeichnen lassen, der in seiner Entwicklung die grössten Fortschritte macht und sie im sozialen Kontext auch einsetzen kann. Märchen sind demnach Generationenüberschreitend, denn sie geben den Zuhörenden Hinweise aus überlieferten und bewährten Einsichten für eine funktionierende Zukunft. Die meisten Märchen im Zuge der Industrialisierung verschriftlicht wurden, viele nach dem Vorbild der Brüder Grimm. Das immatrielle Kulturgut wurde zu einem literarischen Text, geprägt vom Hintergrund der damaligen Zeit. Die Aussage der Märchen ist zwar zeitlos geblieben, die Sprache, Wortwahl und das implizierte Denken dahinter verlangt nach einem kritischen Hinterfragen, sowohl was das Gedankengut aus der Biedermeierzeit der Brüder Grimm angeht, wie das kolonialistische Denken der märchensammelnden Missionare auf anderen Kontinenten. Jeder verschriftlichte Märchentext hat eine Vielzahl von Bearbeitungen erfahren, der ihn immer mehr entfernt, von der mündlichen Erzählsituation, in der er von einem erfahrenen Erzählenden mündlich weitergegeben wurde. Wichtig zu wissen ist also: Hinter jedem Märchen steht ursprünglich ein Mensch mit einem sozialpolitischen Hintergrund, der die Geschichte einem realen Gegenüber erzählt und seine Worte dementsprechend genau gewählt hat.

Lerngegenstand und thematische Schwerpunkte

Die drei Hauptthemenschwerpunkt «Märchenwissen», «Märchen unter der Lupe» und «Märchen erzählen» weisen die gleiche Struktur auf:

  • Ausgearbeitete Unterrichtssequenzen
  • Weitere Unterrichtsideen
  • Weiterführendes Material

Ausgearbeitete Unterrichtssequenzen
Die Lehrperson erhält hier verschiedene Umsetzungsideen, welche direkt mit den Lernenden im Unterricht verwendet werden können. Einige der Umsetzungsideen sind zusätzlich mit einer detaillierten Verlaufsplanung ausgestattet. Sie führt die Lehrperson mit konkreten Anweisungen durch die Unterrichtsstunden.

Weitere Unterrichtsideen
Hier erhalten Lehrpersonen weitere Ideen, wie sie das Thema «Märchen» in ihrem Unterricht umsetzen können. Es handelt sich teilweise um nicht ausgearbeitete Ideen.

Weiterführendes Material
Materialien, wie zum Beispiel eine Checkliste für die geeignete Wahl von Kindermärchen, stehen hier zur Verfügung. Sie dienen der Lehrperson für die Vorbereitung ihres Unterrichts oder um sich weitere Inspirationen für die Umsetzung des Themas Märchens für den Unterricht zu holen.

Märchenwissen

Lernende beschäftigen sich mit ihnen bekannten und unbekannten Märchen. Sie begeben sich auf eine Zeitreise durch verschiedene Epochen und recherchieren, wie sich das Erzählen im Laufe der Zeit verändert hat. Der Unterschied von Volks- und Kunstmärchen wird thematisiert, ausserdem tauschen sich die Lernenden darüber aus, wie sich die heutige Werbung Märchen zu Nutze macht. Eine Checkliste für die Wahl von geeigneten Kindermärchen sowie die von Mutabor bereitgestellte Webseite zu «Märchen und Geschichten für Kinder» steht für die Lehrperson unter weiterführendem Material zur Verfügung.

Märchen unter der Lupe

Auf drei verschiedene Aspekte wird in diesem Themenschwerpunkt der Fokus gelegt:
  • Tiermärchen
  • Zaubermärchen
  • Märchen Brüder Grimm

Tiermärchen:
Fünf verschiedene Tiermärchen aus verschiedenen Regionen der Erde werden den Kindern vorgestellt. Unterschiedliche Aufgaben werden dazu von den Lernenden bearbeitet.

Zaubermärchen:
Eine erlebnisorientierte Unterrichtssequenz kann hier mit den Lernenden durchgeführt werden. Anderswelten und Zauberfiguren können von den Lernenden entdeckt werden. Mit den Zaubermärchen aus der Schweiz, gesprochen in verschiedenen Mundarten, wird einen regionaler Bezug geschaffen.

Märchen Brüder Grimm:
Die Lernenden setzen sich mit den verschiedenen Märchenfiguren der Brüder Grimm auseinander. Die Märchen werden den Lernenden u.a. mithilfe von Audios zugänglich gemacht. Verschiedene Lernaufgaben runden das Angebot ab.

Märchen erzählen

 

Der Hauptschwerpunkt liegt auf dem Erzählen. Die mündlichen Erzähltradition verschiedener Völker wird sichtbar gemacht und mit Informationen zu Kontinenten und einem Beispielsmärchen ergänzt. Darauf aufbauend wird den Lernenden die Frage gestellt wer ihnen Märchen erzählt hat oder durch welche Medien sie Märchen gehört, gesehen oder erlebt haben. Auf eine Art Spurensuche begeben sie sich, wenn sie in Erfahrung bringen sollen, wie andere Generationen z. B. die ihrer Eltern und/oder ihrer Grosseltern Märchen erzählt bekommen haben und welche der damals gebräuchlichen Medien sie für Märchen genutzt haben.
Lernenden sollen auch das eigene Erzählen üben können. Dabei lernen sie das Märchen anhand von verschiedenen Methoden (Storyboard, Bildkarten) zu verinnerlichen. Sie lernen den Aufbau von Erzählungen kennen, sie befassen sich mit den verschiedenen sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten, lernen sich in verschiedene  Rollen (Zuhörende und Erzählende) kennen
.

Organisation und Lehrplanbezug

Die einzelnen Themenschwerpunkte können losgelöst voneinander im Unterricht behandelt werden. Die ausgearbeiteten Unterrichtssequenzen werden von den Lernenden selbständig bearbeitet. Die Lehrperson fungiert im Hintergrund als Lernbegleiterin. Bei einigen Unterrichtideen stehen interaktive Lernumgebungen zur Verfügung. Es handelt sich dabei um Bilder, deren informativer Gehalt durch die Pop-up-Technik erschlossen wird: Alle informationsrelevanten Details können durch die Lernenden selbstständig angewählt und mittels Lesetexten und Erzählungen in individueller Geschwindigkeit erschlossen werden.

Kompetenzen aus dem Lehrplan 21

D.1.B.1 , D.1.C.1 , D.1.D.1 , D.2.C.1 , D.3.B.1 , D.3.C.1 , D.3.D.1 , D.4.B.1 , D.4.D.1 , D.6.C.1 , D.6.B.1 , D.6.A.1

MI.1.4 , MI.1.2

Überfachliche Kompetenzen

Die Lernenden…

  • können eigene Gefühle wahrnehmen und situationsangemessen ausdrücken.
  • können auf ihre Stärken zurückgreifen und diese gezielt einsetzen.
  • können sprachliche Ausdrucksformen erkennen und ihre Bedeutung verstehen.
  • können sich aktiv und im Dialog an der Zusammenarbeit mit anderen beteiligen.
  • können aufmerksam zuhören und Meinungen und Standpunkte von andern wahrnehmen und einbeziehen.
  • können Informationen vergleichen und Zusammenhänge herstellen (vernetztes Denken)

Lehrmittel und Grundlagen

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Sprachwelt 2

Lehrmittel

Das Lehrmittel Sprachwelt unterstützt Lehrpersonen dabei, den gesamten Deutschunterricht auf der Grundlage des Lehrplans 21 in entwicklungs- und altersdurchmischten Klassen adaptiv und zielführend zu gestalten. Es bietet vielfältige Zugänge und regt Sprachhandeln, systematisches Arbeiten mit Strategien und individuelles Trainieren von sprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten an. (Quelle: Verlag)

Quellen

Geister, O. (2021). Kleine Pädagogik des Märchens. Begriffe, Geschichte, Ideen für Erziehung und Unterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.

Titelbild: Illustration C. Roters, aus: Jaenike, D. (2022): Kindermärchen für Gross und Klein. Trachselwald: Mutabor Verlag.