Erfahrungsbericht einer digitalen Aufgabenhilfe während dem "Lockdown"

Es gibt doch diesen Buchtitel ‚Krise als Chance‘. Das sagte ich mir in den ersten Tagen des Lockdowns immer wieder, denn ich fühlte mich verloren und nutzlos. Seit der Ankündigung des Bundesrates waren viele meiner Aufträge als Beraterin storniert. Wie hatte ich mich auf die Moderation zweier Tage mit Kollegien gefreut während den Frühlingsferien. Und jetzt sollte ich aus dem Homeoffice arbeiten, wo ich doch mit Teams oder in Führungscoachings direkt mit den Leuten arbeite. Ich war orientierungslos.

Nathalie Glatthaar-Brändle, Dozentin am Institut für Weiterbildung und Dienstleistungen der PHBern

Da kam mir die Anfrage seitens einer Arbeitskollegin, ein Mädchen einer Flüchtlingsfamilie in der Nähe von Biel täglich bei den schulischen Aufgaben zu begleiten oder eben auch nur ein bisschen Deutsch mit ihr zu sprechen, gerade recht. Der Start war dann sehr dynamisch. Die Kollegin richtete ein virtuelles Treffen am gleichen Tag meiner Zusage ein und teilte mir noch mit, dass das Mädchen sich freuen würde. Fünf Minuten dauerte die Übergabe im Skype, danach verabschiedete sich die Kollegin und wir stürzten uns sogleich in Mathematik!

Die Arbeitsblätter der verschiedenen Fächer fotografierte mir das Mädchen jeweils und sendete mir diese in WhatsApp zu. Wir tauschten uns dann in Skype aus – wobei Skype während einigen Tagen ausfiel und wir dann auf Facetime auswichen. Die technologischen Klippen waren immer wieder spür-bar. So zum Beispiel, als Sie ein Arbeitsblatt herunterladen und dieses in Word bearbeiten musste und da der Cursor bei der vierten Aufgabe plötzlich nicht mehr am Zeilenanfang startete sondern in der Mitte. ‚Was hat da die Lehrperson fälschlicherweise formatiert?‘, ärgerte ich mich innerlich. Dieser Umstand irritierte uns in der weiteren Bearbeitung der Französisch-Sätze und ich versuchte ihr via Telefon zu erklären, wie sie dies wieder anders einrichten könnte. Ich schaffte es nicht, denn wie genau nennt man das Symbol resp. die Taste… ich wusste es nicht, ganz abgesehen davon, dass das Mädchen dies wohl auch nicht verstanden hätte. Zum Schluss mussten wir lachen und improvisierten halt. Ja, Perfektion hatte bei meiner Unterstützung sicherlich keinen Platz. Dies musste ich auch feststellen, als ich mit ihr die Französisch Aufgaben machte. Zuerst musste sie mir die Sätze vorlesen und diese klangen definitiv ganz anders als französisch – Quel prononciation! Ich entschied mich dann, nicht da-ran arbeiten zu wollen, höchstens selbst vorzulesen und ihr als Rückmeldung zu sagen, dass die Aussprache doch sehr abenteuerlich wäre und nur einzelne ausgesuchte Worte zu korrigieren… so konnten wir uns auf den Inhalt der Aufgaben konzentrieren, was noch genügend herausfordernd war. Aber sicherlich würde mich nun als Vertiefung interessieren, was genau man nun allenfalls pädagogisch machen könnte, damit ihre Aussprache sich bessert.

Spannend war zudem, dass sich schon nach wenigen Tage eine Beziehung zwischen uns herausbildete. Im Zuge des Themas Mittelalter und wie die Städte damals aussahen, erzählte sie mir plötzlich von ihrer Stadt in Syrien. Oder sie sah meine eigenen Kinder im Hintergrund und befragte mich zu meiner Familie.

Ich durfte während der Begleitung hautnah miterleben, wie Themen schulisch aufbereitet wurden. Wie schwierig es sein kann, gewisse Themen, wie z.B. Bruchrechnen kindergerecht zu vermitteln (da musste ich mir dann einige Lernvideos noch zu Gemüte führen, delegierte diesen Punkt jedoch auch wiederum an die Lehrperson) und ich spürte v.a., dass Lernen über die Beziehung geht. Ich denke, unsere tägliche Stunde gab ihr einen Schwung für den Tag mit, die Arbeitsblätter gewissenhaft zu bearbeiten.

Eine Auswertung, wie weit diese digitale Begleitung Wirkung zeigte und die Bildungschancen dieses Mädchens verbesserte, haben wir nicht. Einzig eine gute Rückmeldung seitens der Lehrperson zu den bisherigen Leistungen während der Zeit des Fernunterrichts.

Diese Unterstützung war sehr niederschwellig, ohne Vorbereitung meinerseits und ohne Reiseaufwand von beiden Seiten. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Potenzial hat. Warum nicht PH-Studierende praxisnah so einsetzen, zugleich die Schulen entlasten und etwas für die Chancengleichheit zu machen? Ich bin überzeugt, dass der Gewinn auf allen Seiten da wäre. In dieser Zeit des Ausnahmezustandes werden in der Arbeitswelt und in der Schule ja viele neue Erfahrungen der Zusammenarbeit als auch des Unterrichtens ausprobiert und einige hiervon sind sicherlich lohnenswert in die

Phase der Normalität hinüberzuführen. So sicherlich Sitzungen öfters auch einmal digital zu machen (gerade bei internationalen Teilnehmenden), Homeoffice vermehrt zu ermöglichen und vielleicht ja auch die digitale Unterstützung von benachteiligten Schülern und Schülerinnen. Ich bin überzeugt, dass dies Potenzial hat!

Interview mit M.A., 12 Jahre alt, aus Syrien, seit 2015 in der Schweiz

Wie war für Dich die Zeit seit der Schulschliessung?

Die erste Woche war es schwierig, ich musste meinen Geschwistern viel helfen. Wir hatten noch keine Planung, wie es weitergeht. Zuerst waren wir überfordert mit den Dingen, die uns zugestellt wurden. Am Wochenende konnten wir dann endlich einen Überblick und eine Planung machen, danach lief es besser.

Was hast Du in dieser Zeit gelernt?

Ich musste die anderen unterstützen. Ich lernte selbstständiger zu werden. Und ich habe viel über das Mittelalter gelernt. Die Bücher hierzu sind toll und ich mochte dieses Thema gut.

Was hast Du in dieser Zeit vermisst? Was hättest Du Dir gewünscht?

Es wäre cool, wenn einmal die ganze Klasse zusammen telefonieren könnte.

Wie waren diese Telefonate mit mir?

Ich fand es toll, dass Sie mir geholfen haben. Manchmal war das Bisschen der Hilfe genau das, was ich brauchte, um es dann alleine machen zu können.

Wenn es nun so weiter geht mit dem ‚Lockdown‘, was brauchst Du dann für diese Zeit, damit Du weiter gut für die Schule arbeiten und lernen kannst?

Ich bräuchte weiterhin eine Person, welche mir bei den Aufgaben hilft, bei denen ich nicht drauskomme. Die Lernlupe finde ich auch gut, da kann man sich gegenseitig mit Klassenkolleginnen schreiben.