Dem Lehrpersonen-Stress auf der Spur

Kaum eine Berufsgruppe ist so hohem arbeitsbedingten Stress ausgesetzt wie Lehrpersonen. Was den Stress verursacht und wann er am höchsten ist, untersucht ein Forschungsteam um Alexander Wettstein von der PHBern mit ungewohnten Methoden – indem sie Lehrpersonen wortwörtlich auf den Puls fühlen und Stresshormone im Speichel messen.
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Arbeitsbedingter Stress und seine Folgen sind eine grosse Herausforderung der Gegenwart und verursachen in der Schweiz Kosten von mehreren Milliarden Franken pro Jahr. Besonders betroffen ist die Berufsgruppe der Lehrpersonen – hier sind Erschöpfung, Müdigkeit oder psychische Krankheiten übervertreten. Die Folgen von Stress sind vermehrte Burnouts, das Ausscheiden aus dem Beruf, Lehrpersonenmangel. Ein vom Schweizerischen Nationalfonds unterstütztes Projekt an der PHBern erforscht die Ursachen von Stress bei Lehrpersonen – mit unkonventionellen Mitteln.

Den Lehrpersonen werden nämlich mittels ambulanter EKG-Geräte die Herzfrequenz sowie die Herzfrequenzvariabilität – die zeitliche Bandbreite zwischen zwei Herzschlägen – gemessen. Sowohl Herzfrequenz wie Herzfrequenzvariabilität lassen Aussagen über den körperlich erfahrenen Stress zu. Daneben werden mittels acht über den Tag verteilter Speichelproben körpereigene Stoffe gemessen, die mit Stress zusammenhängen: Cortisol, einer der prominentesten sogenannten "Marker" in der biologischen Stressforschung, sowie das Speichelprotein Alpha-Amylase.

Weshalb diese aufwändigen Messungen? "Eine überwältigende Anzahl von physiologischen Prozessen wird nicht bewusst erlebt", begründet Alexander Wettstein, Forscher an der PHBern und Leiter des Forschungsprojekts die Wahl der Messinstrumente. "Es ist daher wichtig, Stress nicht nur durch Selbstbewertungen, sondern auch durch physiologische Messungen zu beurteilen."

Für eine Vorstudie, die Anfang dieses Jahr erschienen ist, haben Alexander Wettstein und sein Team acht Primarschullehrpersonen zwischen 25 und 62 Jahren verkabelt und Speichelproben abgeben lassen. Die Messungen fanden an zwei Arbeitstagen sowie an einem freien Tag statt, von frühmorgens bis zum Schlafengehen.

Die Auswertung der Messwerte zeigt: Sowohl die psychisch wahrgenommenen als auch die biologisch gemessenen Stresswerte lagen an Arbeitstagen deutlich höher als an arbeitsfreien Tagen. Selbsteinschätzung und biologische Daten zeigen übereinstimmend, dass der Stress während der Arbeitstage am Mittag das Maximum erreicht. Je stärker die berufliche Belastung der Probanden war, desto höher stieg der Cortisolspiegel bereits vor dem Unterricht.

"Ein Ziel der Vorstudie war herauszufinden, ob die ambulante Messung der biologischen Daten im Schulalltag überhaupt möglich ist", erklärt Studienleiter Alexander Wettstein. "Das können wir erfreulicherweise bestätigen." Die in der Vorstudie gesammelten Erkenntnisse helfen nun bei der Durchführung einer Studie mit 44 Teilnehmenden, die aktuell stattfindet.

"Mit unserer Forschung stellen wir Grundlagenwissen bereit, das zum Verständnis beiträgt, was Lehrpersonen stresst und welche individuellen oder allgemeine Faktoren Stress entgegenwirken", sagt Alexander Wettstein. "Ein richtiger Umgang mit Stress stellt einen gelingenden Schulalltag sicher und ermöglicht den Schülerinnen und Schülern ein erfolgreiches schulisches Lernen."

Titel

Ambulatory Assessment of Psychological and Physiological Stress on Workdays and Free Days Among Teachers. A Preliminary Study

(Ambulante Erfassung von psychologischem und physiologischem Stress an Arbeits- und freien Tagen bei Lehrpersonen. Eine Vorstudie)

Autorenteam der Vorstudie und beteiligte Institutionen

Alexander Wettstein und Fabienne Kühne, Institut für Forschung, Entwicklung und Evaluation, PHBern

Wolfgang Tschacher, Universitäre Psychiatrische Dienste (UPD), Universität Bern

Roberto La Marca, Psychologisches Institut, Universität Zürich
Erschienen 2020, Frontiers in Neuroscience
Link https://doi.org/10.3389/fnins.2020.00112