"Der Beruf hat doch nichts mit dem Geschlecht zu tun!"

JUMPPS steht für «Jungen- und Mädchenpädagogik». Der Verein mit Sitz in Zürich will Schülerinnen und Schüler ermutigen, auch einen Beruf in Betracht zu ziehen, der vom anderen Geschlecht «besetzt» ist. Warum sollte ein Mädchen im emmentalischen Rüderswil nicht Polymechanikerin und ein junger Mann in der Stadt Bern nicht Kindergärtner werden? Nichts spricht dagegen, dennoch ist es alles andere als selbstverständlich.
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Das Projekt JUMPPS will Vorurteilen bei der Berufswahl entgegenwirken.

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«Und wie willst du mal eine Familie ernähren?» «Du kannst dich ja dann immer noch weiterbilden!» «Heutzutage kannst du ohne Probleme auch später noch Oberstufenlehrer werden.»

Solche Sätze bekommt Nick Uhlmann manchmal zu hören, wenn er erzählt, dass er an der PHBern die Ausbildung für Vorschul- und Primarstufe mache und Kindergärtner werde. Oft interessiere die Leute aber auch, was die Gründe für seine Berufswahl seien, sagt der 23-Jährige, und wenn er das dann ausführe, seien die Reaktionen meist positiv und bestärkend. «Nach der Matura leistete ich während sechs Monaten Zivildienst in einer Kita in Ostermundigen», berichtet Nick Uhlmann. «Ich habe den Alltag mit den Kindern als sehr zufriedenstellend, abwechslungsreich und bereichernd erlebt. Ich fühlte mich wohl mit ihnen, gleichzeitig nützlich und geschätzt.» Diese Erfahrung hat in ihm den Wunsch geweckt, beruflich mit Kindern zu arbeiten. Während der Ausbildung an der PHBern hat er in diversen Praktika festgestellt, dass ein Mann im Team sehr willkommen wäre. Da es noch immer wenige Männer gibt, die auf der Vorschul- und Basisstufe unterrichten und heutzutage gut durchmischte Teams angestrebt werden, sind seine Chancen gross, nach der Ausbildung eine Stelle zu finden, die seinen persönlichen Vorstellungen entspricht.

Bei der Jobsuche kann es also durchaus ein Plus sein, wenn man  einen Beruf gewählt hat, der lange Zeit vom anderen Geschlecht «besetzt» war. Noch wichtiger aber ist es, dass der Beruf wirklich passt – will heissen, dass dabei die individuellen Talente und Ressourcen genutzt werden können und das Vertrauen in die  eigene Stärke wächst. So würden Vanessa, 8. Klasse, und  Larissa, 7. Klasse der Realschule Rüderswil, später gern als Hufschmiedinnen arbeiten. Die beiden Emmentalerinnen lieben Tiere und haben viel Erfahrung im Umgang mit Pferden. Vanessas Schnupperlehrmeister meinte aber, mit 15 Jahren sei sie noch zu jung und körperlich zu wenig stark für die anstrengende Arbeit. Ein Jahr später wird die Lehrstelle nicht frei sein. So liebäugelt sie nun mit dem Berufsziel Landwirtin – nicht zu verwechseln mit der Bäuerin, die auf einem Hof die traditionell weiblichen Aufgaben wahrnimmt. Die Landwirtin führt den Bauernbetrieb wie eine Managerin – «das sind so viele Berufe in einem!», schwärmt Vanessa. Und zur Schmiedin könne sie sich ja später immer noch ausbilden lassen.


Progressive Mädchen, traditionelle Jungs
Mit ihren Mitschülerinnen, Lehrerin Andrea Thierstein und JUMPPS-Moderatorin Janina Kocher sitzen Vanessa und Larissa an diesem Tag in der Runde und diskutieren Berufswünsche. Gleich mehrere Mädchen wollen Landwirtin werden, die meisten stammen aus Bauernfamilien. Eine Familie, die mit lauter Töchtern gesegnet ist, hat die Älteste dazu auserkoren, dereinst den Hof zu übernehmen. Früher wäre das undenkbar gewesen. Heute haben jugendliche Landwirtinnen in spe bereits Vorbilder – ältere Cousinen etwa. Und seit der 7. Klasse führen Andrea Thiersteins Schülerinnen und Schüler ein Berufswahltagebuch, in dem sie Möglichkeiten und Ziele reflektieren.

Eines der anwesenden Mädchen möchte Polymechanikerin werden. Bei der Firma Zaugg AG in Eggiwil konnte sie in den Be-ruf reinschnuppern und wurde in ihrem Wunsch bestärkt. Während sie davon erzählt, platzt sie fast vor Stolz und wirkt in ihrer hemdsärmligen Art tatsächlich wie eine, die jeden streikenden Schneepflug wieder flottkriegt. Ist in dieser kleinen Dorfschule kein einziges Mädchen anzutreffen, dass einen «typisch weiblichen» Beruf ergreifen will? Doch. Jana möchte Floristin werden – oder Bäckerin, einfach «etwas Kreatives». «Kindergärtnerin!», tönt es jetzt noch aus einer anderen Ecke. Dennoch: Die beiden sind in der Minderheit.

Anders sieht es bei den Jungen aus. Mit ihnen diskutiert nebenan Lehrer Jonas Egli. Er fragt, wie sie es fänden, wenn ein Mädchen Maurerin lerne. Alle nicken, doch, das sei völlig okay. David meint: «Es ist blöd, Vorurteile zu haben – der Beruf hat doch nichts mit dem Geschlecht zu tun!» Und Silvan weiss: «Um auf dem Bau schwere Lasten zu heben, gibt es Hilfsmittel. Frauen können so das Gleiche leisten wie Männer.» Er selbst wird Zimmermann – von den Optionen Dachdecker, Schreiner und Zimmermann sei letztere die vielseitigste, erklärt er selbstbewusst. Silvan hat bei der Holzbaufirma Iseli und Trachsel AG in Grünen –  Sumiswald geschnuppert.

Schreiner und Zimmermann seien aktuell die Renner bei seinen Schülern, fasst Jonas Egli zusammen. Kein Einziger unter ihnen habe einen Berufswunsch ausserhalb herkömmlich männlicher Domänen. Sind die jungen Frauen auch hier auf dem Vormarsch und inzwischen weitergekommen als ihre männlichen  Altersgenossen? Janina Kocher und Boris Simic, die an diesem Tag die JUMPPS-Workshops in der Schule Rüderswil leiten, sehen das nicht so. Es gebe kein Muster, weder Mädchen – Jungen noch Stadt – Land, so Simic. Janina Kocher wirft ein, dass sie persönlich einige männliche Kindergärtner kenne. «Und das Wichtige sind in diesem Beruf ja die Kinder», sagt sie, selbst Mittelstufenlehrerin, «die bringen eine Grundoffenheit mit.»

Workshops für Mittel- und Oberstufe
«Mich interessiert die Sichtweise vor allem jüngerer Kinder, die subjektiv, ehrlich und meist unvoreingenommen ist», erklärt auch der angehende Kindergärtner Nick Uhlmann. Erwachsene sind aber nicht immer so unvoreingenommen, und das Image eines Berufs kann im privaten Umfeld zum Problem werden. Den Schülerinnen und Schülern in Rüderswil erzählt Boris Simic von seinem Cousin Dragan, der Drogist gelernt und im zweiten Lehrjahr abgebrochen habe, obwohl ihm die Arbeit gefiel – «immer haben ihn seine Kollegen wegen seiner Tätigkeit gehänselt, davon hatte er irgendwann genug». Es brauche nicht nur Mut, sich für einen Beruf zu entscheiden, so Simic, sondern auch, dabei zu bleiben.

Der Verein JUMPPS – kurz für «Jungen- und Mädchenpädagogik-Projekte in Schulen» – will Jugendliche ermutigen, gängige Rollenbilder zu überdenken und überwinden. Das JUMPPS- Projekt «Mein Beruf» bietet für 5./6. und 7./8. Klassen einen zweiteiligen Workshop an. Im Videomodul regen Filmsequenzen und Spiele die Jugendlichen an, sich mit gängigen Geschlechter- Stereotypen im Berufsalltag auseinanderzusetzen, in einer soziometrischen Übung auch mit der Rollenteilung in der Familie. Im Lifemodul besuchen Lernende oder junge Berufsleute die  Schule und erzählen von ihren Entscheidungsprozessen und Erfahrungen. In Rüderswil ist es die Applikationsentwicklerin Clelia Meneghin, die den beiden Klassen in der Turnhalle Rede und Antwort steht. «Habt ihr gewusst, dass Frauen in der Informatik mehr verdienen als Männer?», fragt sie keck in die Runde. Und die Begründung folgt sogleich: Weil es im IT-Bereich so wenige Frauen gebe, seien diese in Teams eben gefragter, erklärt sie. Dass Informatik anfänglich eine reine Frauendomäne war, ist heute kaum mehr bekannt. Aber dies ist eine ganz andere Geschichte.

Dieser Beitrag erschien in der Ausgabe 1.21 von EDUCATION. (PDF)

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