Die Studierenden verlassen das Nest und lernen fliegen

So viel Praxis wie noch nie: An der PHBern unterrichten die Studierenden des Instituts Sekundarstufe I während eines ganzen Semesters an einer Schule. Das bringt viele Vorteile. Auch im neuen Studienplan, der seit Herbstsemester 2022 in Kraft ist, bleibt das Semesterpraktikum ein Kernstück der Ausbildung.
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Sarah Kälin da Silva, Daniel Kálóczi und Tabea Lanz sitzen vor dem Schulhaus in Burgdorf

Die Studierenden Sarah Kälin da Silva und Daniel Kálóczi mit der Praxislehrerin Tabea Lanz in Burgdorf

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"Das langfristige Begleiten von einzelnen Schülerinnen und Schülern, die Zusammenarbeit mit der Schulsozialarbeit, spontanes Übernehmen von Stellvertretungen und – nicht zu vernachlässigen – ganz viele Pausen- und Mittagsgespräche, während denen Ideen ausgetauscht werden, diskutiert, geweint, gespielt, geschimpft und ganz viel gelacht wird. Dies ist die Realität des Lehrberufs. Ungeschminkt. So etwas kann allein an der Pädagogischen Hochschule nicht vermittelt werden. Da muss man zuerst reingeschubst werden und dann begleitet hineinwachsen", sagt Tabea Lanz, Praxislehrerin in Burgdorf.

Das Semesterpraktikum hat mir einmal mehr bestätigt, dass ich mich für den richtigen Beruf entschieden habe, da ich die perfekte Mischung von Routine und Abwechslung habe.
Sarah Kälin da Silva  -  Studentin des Instituts Sekundarstufe I

Dieses "Reinschubsen" und "Hineinwachsen" erleben die Studierenden dank dem Semesterpraktikum an der PHBern bereits lange bevor sie das Studium abschliessen. Die Dauer des Praktikums von einem ganzen Semester ist einmalig und bringt einen grossen Vorteil: Die Studierenden haben nach Studienabschluss keinen Praxisschock, da sie bereits viel Praxiserfahrung während der Ausbildung sammeln. Dies bestätigen die beiden Studierenden Sarah Kälin da Silva und Daniel Kálóczi, die beide ihr Semesterpraktikum bei Tabea Lanz in Burgdorf absolviert haben. "Man taucht richtig ein, spürt wirklich, was es heisst, als Lehrperson zu arbeiten. Das ist in den kurzen zwei- bis dreiwöchigen Praktika nicht möglich. Ausserdem habe ich das Gefühl, dass die ganze Atmosphäre anders ist, weil alle wissen, dass man für das ganze Semester vor Ort ist und Teil des Teams wird", so Sarah Kälin da Silva. Daniel Kálóczi ergänzt: "Das Semesterpraktikum erlaubte es mir, Projekte und Situationen in einem sicheren Rahmen zu erleben. Ich durfte viele Erfahrungen sammeln und so den Flow eines echten Berufsalltags kennenlernen."

Dies bestätigt Tabea Lanz: "Die Studierenden erleben im Semesterpraktikum zu 100 Prozent den richtigen Berufsalltag. Ich sage bewusst 'erleben'. Vorher wissen sie vielleicht, dass nebst dem Unterrichten noch einiges mehr zum Lehrberuf gehört – im Semesterpraktikum erleben sie dies aber live mit. Wenn Studierende gewillt sind, richtig einzutauchen, können sie in diesem Halbjahr viele wertvolle Erfahrungen sammeln und haben vor allem auch die Chance, ihre an der PHBern erlangten Kompetenzen und Planungen auszuprobieren und das Wissen mit der Praxis zu verbinden."

Professionelle Begleitung ist ein wichtiger Faktor

Das Semesterpraktikum ermöglicht aber nicht nur, den Schulalltag über einen längeren Zeitraum kennenzulernen und erworbenes Wissen und Können anzuwenden und zu erweitern. Es ermöglicht auch viel Raum für Selbstreflexion und Austausch. Die Studierenden werden stets von einer Praxislehrperson betreut und von einer Begleitperson der PHBern begleitet. Unterrichten die Studierenden anfangs noch gemäss Auftrag der Praxislehrperson, folgen im Laufe des Praktikums immer mehr Unterrichtsphasen ohne deren Beisein. "Die Studierenden investieren in diesem Halbjahr sehr viel. Sie kommen oft früher oder später mal an ihre Grenzen. Diese zu überwinden und zu lernen, mit den eigenen Ressourcen haushälterisch umzugehen, ist mir ein grosses Anliegen und eine Kompetenz, die eine Lehrperson unbedingt beherrschen sollte. Man könnte also sagen, die Studierenden verlassen im Semesterpraktikum das Nest und lernen fliegen", so Tabea Lanz.

Für Daniel Kálóczi war die Begleitung ein wichtiger Lernfaktor: "In Bezug auf herausfordernde Situationen mit Schülerinnen und Schülern wurde ich super begleitet und beraten. So konnte ich lernen, dass es normal ist, wenn etwas nicht immer wie geplant gelingt." Und Sarah Kälin da Silva ergänzt: "Ich konnte jederzeit um Hilfe bitten. Auch bei unerwarteten Herausforderungen. Schliesslich besteht der Lehrberuf nicht nur daraus, vor der Klasse zu stehen und zu unterrichten. Administrative Aufgaben und grundlegende Kommunikationsweisen mit unterschiedlichsten Parteien kommen dazu."

Dieses begleitete Heranführen an den Berufsalltag bewährt sich immer wieder. Denn die Studierenden sind durch die professionelle Begleitung in den Praktika besser auf den Berufseinstieg vorbereitet, was dazu führen kann, dass sie länger im Beruf bleiben.

Als Praxislehrperson ist das Begleiten von Studierenden auch ein Aufwand, doch der Gewinn ist grösser.
Tabea Lanz  -  Praxislehrerin in Burgdorf

Das Semesterpraktikum ist ein Gewinn für alle

Von der Arbeit der Praxislehrpersonen profitieren aber nicht nur die Studierenden, sondern auch die Praxislehrpersonen selbst. Der Austausch ermöglicht einen wichtigen Perspektivenwechsel. Praxislehrpersonen können sich von Unterrichtsideen der Studierenden inspirieren lassen, probieren Formen des Teamteachings aus, erhalten Einblick in die aktuellen Entwicklungen in der Lehrpersonenausbildung und profitieren von den Weiterbildungsangeboten der jeweiligen Grundausbildungsinstitute.

"Für uns als Schule ist es sehr spannend, Studierende zu begleiten. Einerseits bleiben wir so ständig am Ball, wir hören und sehen, was an der PHBern gerade gelernt wird. Regelmässig haben Studierende tolle Ideen, Materialien und Methoden, die ich auch für meinen Unterricht übernehmen darf. Es ist ein Geben und Nehmen", so Tabea Lanz. Weiter führt sie aus, dass es für die Schulen in der momentanen Situation auch ein grosser Vorteil sei, Studierende zu betreuen. Dadurch bestehe die Möglichkeit, offene Stellen an der Schule gleich mit geeigneten Studierenden zu besetzen. "Wenn die Zusammenarbeit gut war, ist dies für beide Seiten eine tolle Win-win-Situation", so Lanz.