Wie gelingt lesen lernen im Klassenzimmer in einer zunehmend digitalen Welt? Die PHBern lädt ein zur Tagung "Vom Papier zum Pixel", die sich mit den Chancen und Herausforderungen des digitalen Lesens auseinandersetzt.
Programm-Highlights:
- Hauptreferat: "Lesen am Bildschirm – Potenziale, Risiken und Nebenwirkungen" (Andreas Gold, Goethe-Universität Frankfurt am Main)
- vier Fokus-Referate: Wortschatz, Diagnosemethoden, digitale Förderprogramme und mehr
- Abschlussdiskussion: digitales Lesen – die Lösung für Leseschwäche?
Die Tagung gibt Einblicke in neue Ansätze zur Förderung von Lesekompetenzen in einer digitalen Welt. Sie bietet Gelegenheit zur Diskussion und zum Austausch mit Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis.
Digitales Lesen: Interview mit Andreas Gold
In der PISA-Studie schneidet die Schweiz bei der Lesekompetenz schlecht ab. Wie beurteilen Sie diese Situation?
Nicht nur bei PISA, auch bei IGLU ist das leider so. Zu viele Kinder und Jugendliche lesen zu schlecht. Obwohl seit bald 20 Jahren erhebliche Anstrengungen in den Schulen unternommen werden. Ohne diese Anstrengungen würde es noch schlimmer aussehen. Man darf nicht vergessen: Die Rahmenbedingungen sind schlechter geworden. Die sprachlichen Kompetenzen der Kinder ist geringer. Fehlende Sprachkompetenz erschwert den Schriftspracherwerb. Hier müssen wir deutlich vor Schulbeginn ansetzen.
Welche Rolle spielen die digitalen Medien in dieser Entwicklung?
Klug genutzt können die digitalen Endgeräte nützlich zur Leseförderung eingesetzt werden. Übermässiger Medienkonsum im Kleinkindalter beeinträchtigt aber die Sprachentwicklung. Das Lesen und Schreiben von Kurznachrichten auf Social Media kann das Lesen von ganzen Texten nicht ersetzen. Förderlich für die Entwicklung von Lesekompetenzen ist es nicht. Andersherum gilt: Gute Analogleser kommen auch mit dem digitalen Lesen gut zurecht.
Was fasziniert Sie am Thema Leseförderung?
Als Kognitionsforscher hat mich immer interessiert, wie sich der Lesevorgang – als Prozess der visuellen Wahrnehmung – in einer mentalen Repräsentation des Gelesenen widerspiegelt. Und als pädagogischer Psychologe die Frage, wie man Kindern und Jugendlichen beim Textverstehen helfen kann. Die ernüchternden Ergebnisse von PISA 2020 haben damals unseren Studien unverhofft eine grössere Aufmerksamkeit beschert.
Welches sind zurzeit die erfreulichsten Erkenntnisse?
Wir haben bereits 2004 ein Unterrichtsprogramm zur Förderung von Lesestrategien entwickelt – die Textdetektive. Gerade wird das Programm neu aufgelegt. Und später ein Training zur Förderung der Leseflüssigkeit. Dies ist mindestens genauso wichtig. Erfreulich waren die erfolgreich verlaufenen Evaluationsstudien. Beide Trainingsprogramme sind nachweislich wirksam. Sie fördern das Textverstehen und die Leseflüssigkeit.
Haben Sie einen Tipp für Lehrpersonen?
Sorgfältig diagnostizieren, worin die Leseschwierigkeiten genau bestehen: Schon bei der Worterkennung? Oder bei der Leseflüssigkeit (also beim hinreichend automatisierten, fehlerfreien, schnellen und betonten Lautlesen)? Oder erst beim Textverstehen, also bei der Kohärenzbildung auf Textebene? Je nachdem, wo es Defizite gibt, muss man genau dort ansetzen. Es kann also sein, dass man bis zur Alphabetisierungsphase des Erstleseunterrichts rekurrieren muss, also bis hin zum Erlernen der Buchstaben-Laut-Verbindungen.
Zur Person
Andreas Gold, Prof. Dr. phil., ist ein deutscher Psychologe und Seniorprofessor für Pädagogische Psychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Seine Forschungsschwerpunkte sind Lehr-Lern-Forschung und die Untersuchung der Wirksamkeit pädagogischer Interventionen, insbesondere zur Förderung von Lesestrategien und Lesekompetenzen.
Gold hat sich auch mit den Ursachen von und Interventionen bei Lernschwierigkeiten beschäftigt. Zu seinen bekanntesten Werken gehören "Lesen kann man lernen", "Lernen leichter machen" und "Guter Unterricht. Was wir wirklich darüber wissen". Sein aktueller Forschungsschwerpunkt ist das digitale Lesen. Zu diesem Thema hat er kürzlich das Buch "Digital lesen. Was sonst?" veröffentlicht, das über den akademischen Bereich hinaus Aufmerksamkeit erlangt hat.