Persönlichkeit ist, wer weiterbohrt

Ein Artikel in der aktuellen und letzten Ausgabe 2019 der Berner Schule blickt zurück auf den ersten Abend der Veranstaltungsreihe "Schule braucht Persönlichkeit".
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Von Franziska Schwab. "Schule braucht Persönlichkeit" lautet der Titel einer Veranstaltungsreihe von PHBern, Berner Gesundheit und Bildung Bern. Der erste Anlass zur Frage "Lässt die Schule Persönlichkeit zu?" fand am 7. November 2019 im Von-Roll-Areal statt. Nehmen wir es vorweg: Die Frage wurde nett beantwortet. Und dieser Artikel ist nicht neutral.

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Noah Hiltbrunner sang, auf dem Podium diskutierten PH-Schulratspräsidentin Elisabeth Schenk Jenzer, Erziehungsdirektorin Christine Häsler und Grossrat und Schulleiter Daniel Wildhaber. Visuell festgehalten wurde der Anlass vom Illustrator Patrick Stahel.

"Gang rüef de Bruune, gang rüef de Gäube, si söue aui i Stau inecho", sang der zehnjährige Noah Hiltbrunner mit klarer Stimme in den Stall resp. den PH-Vorlesesaal hinein. Dort sassen rund 400 Menschen, gekommen, weil das Thema Menschenbildung, das im Schulkontext immer mal wieder ausgeblendet wird, unter den Nägeln brennt. Vielleicht sogar mehr denn je. Initiator Urs Gfeller begrüsste und sagte: "Starke Persönlichkeiten sind Menschen, bei denen Wissen zum Können und zum Wollen wird, weil es ins Herz fliesst, von dort in die Hände, in die Beine. Im Herzen haben sie das Vertrauen in sich selber, den Glauben an das Du, das Wir, ans Miteinander. In der Liebe zum Leben gestalten sie die Welt im achtsamen Umgang mit der Schöpfung. Tönt ideal, gället? Ich bin überzeugt davon, dass wir als PädagogInnen, als Mütter, Väter, als Menschen an das Gute glauben, eine Spur Idealistin, Idealist sein müssen. Trotz allem oder gerade deswegen." Das Thema ist Urs Gfeller sehr wichtig. Seit 20 Jahren berät er Lehrpersonen in schwierigen Situationen. Auch deshalb betont er immer wieder: "Gerade in der Zeit zunehmender Digitalisierung, die es möglich macht, Wissen überall und zu jeder Zeit abzurufen, brauchen wir Life Skills, wie die WHO dies betont. Im Lehrplan reden wir nicht von Lebenskompetenzen, sondern von überfachlichen Kompetenzen, allen voran von der Vertrauensbildung in sich und das Wir, zugleich auch von selbstregulierenden Fähigkeiten. Life Skills brauchen sowohl Lehrpersonen wie Schülerinnen und Schüler. Als Lehrperson brauchen wir ein Bewusstsein dafür, um Entsprechendes vermitteln zu können. Es ist mir ein tiefes Anliegen, dass der Mensch als Ganzes im Zentrum steht. Also nicht nur die Wissensbildung, sondern die Menschenbildung."

Stärken sehen, Erfolgserlebnisse ermöglichen

Das Podium bestand aus Erziehungsdirektorin Christine Häsler, Elisabeth Schenk Jenzer, Schulratspräsidentin der PHBern und Rektorin im Gymnasium Kirchenfeld, und Daniel Wildhaber, Grossrat und Schulleiter. Moderator Peter Brandenberger, Leiter des Regionaljournals Bern Freiburg Solothurn, führte die drei Persönlichkeiten ans Thema heran und ein wenig daran vorbei. "Bildung ist Beziehungsarbeit. Starke Persönlichkeiten in der Schule sorgen für starke Persönlichkeiten in unserer Gesellschaft", lautete die These, die Christine Häsler eingebracht hatte. Sie vertrete dieses Anliegen in der Politik und setze sich für gute Rahmenbedingungen ein, damit die Lehrpersonen die Kinder gut begleiten könnten. Es sei schwierig, den Bedürfnissen der Schule gerecht zu werden innerhalb des sehr engen finanziellen Rahmens im Kanton Bern. Der Lehrplan 21 ermögliche viele Freiheiten. Es gelte, die Freiräume zu nutzen. Im Lehrberuf gehe es darum, zu wagen, man selber zu sein. Persönlichkeit sei, wer Kindern ermögliche, zu sein, wer sie sind, und ihnen mitgebe: Du darfst zu dem werden, was du werden willst. Anders gesagt: wer es schaffe, Kinder dort abzuholen, wo sie sind; wer begeistern könne, Stärken sehe, Erfolgserlebnisse ermögliche. Und zwar mit Herzblut.

Kreativität passiert im Regelbruch

Elisabeth Schenk Jenzer sagte: "Ich habe am meisten von denen gelernt, die kein Vorbild waren." Vorzeigen – Nachmachen reiche nicht, wenn es ums Menschwerden gehe. Es brauche Reibung. Persönlichkeit wachse mit Welterfahrung. Davon ermögliche Schule einen wesentlichen Teil. Wir veränderten uns in der Auseinandersetzung mit Inhalten und Menschen und wüchsen an beidem. Persönlichkeit und Professionalität seien keine Widersprüche. Es gehe nur mit beidem. Wissen, Können und gute Selbstreflexion machten Persönlichkeit aus. Jeder Lehrplan lasse immer mehr Freiräume, als man nutze. "Eigene Vorstellungen und Erwartungen engen uns ein", so Schenk. Es gebe keinen Gegensatz zwischen Wissen und Kreativität. "Kreativität passiert im Regelbruch." Folglich brauche es Regeln. Und, nicht ganz unwichtig: "Die Schule hat weder die alleinige Verantwortung noch die alleinige Möglichkeit, dass Schülerinnen und Schüler Persönlichkeiten werden und sind."

Schule begünstigt Anpassung

In seiner These machte Daniel Wildhaber folgende spannende Aussage: "Die Schule begünstigt Anpassung." Erfolgreich seien eher die Angepassten. Um dies zu untermauern, zitierte er Marcel Pagnol: "Im Leben lernt der Mensch zuerst gehen und sprechen, später stillsitzen und den Mund halten." Wir müssten aufpassen, dass das nicht geschehe. "Wie fördert man weniger Anpassung?", fragte der Moderator. Hier wäre es definitiv spannend geworden. Aber man kriegte die wenig schmerzhafte Kurve. Es gehe darum, Kinder individuell zu fördern, in klaren Rahmenbedingungen, die nicht einengten. "Das Dilemma besteht darin, jedem Kind Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten und doch alle zum gleichen Ziel zu führen", so Wildhaber. Perfektionismus sei gefährlich, schränke die Persönlichkeit ein. Man sei dann Gefangene eines Systems. Auf die Moderatorenfrage, was denn Persönlichkeit ausmache, sagte Wildhaber: Professionalität, Begeisterung, Selbstwert, Demut, Belastbarkeit, sich entschuldigen können und Humor.

Die Schule braucht Versatilisten

Zusammenfassend dies: Das Thema interessiert und berührt offensichtlich stark. Es hat Potenzial. Der anregende Austausch beim Apéro zeigte es – neben der grossen TeilnehmerInnenzahl – mehr als deutlich. Einzelne Aussagen lechzten gleichsam nach Tiefe. Das Thema hätte Schichten, die noch nicht beleuchtet wurden. Fragezeichen blieben stehen. Vielleicht, weil die Thematik zu viel Sprengstoff enthält? Weil Unangenehmes und Schmerzhaftes, Widersprüche und Kontroversen nicht vorkommen dürfen? Aus falsch verstandener Political Correctness? Tatsache ist: Das Thema ist gesetzt. Und es geht weiter. Muss weitergehen. Am 12. März 2020 organisiert Bildung Bern einen Abendanlass zur Frage "Wird Persönlichkeit zur Schlüsselkompetenz der Zukunft?". Der Abend soll veränderungsmutig machen. Es diskutieren Cristina Riesen, Explorer of the Unknown and Designer of Change, und Christian Hirsig, Gründer von Powercoders Bern. Christian Hirsig sagt dazu: "Arithmetik und Rechtschreibung kann heute jeder Computer. Sollten wir in der Bildung nicht endlich auf unsere wichtigste Ressource fokussieren? Unsere Persönlichkeit!"

Und Cristina Riesen ist überzeugt: "Anstatt Spezialisten und Generalisten braucht unsere Welt in der Zukunft Versatilisten, Persönlichkeiten, die fundierte Kenntnisse haben und neue Kompetenzen ständig entwickeln können."

Bitte nicht aufgeben. Denn: Persönlichkeit ist auch, wer weiterbohrt und hinter den Lack blickt.

1. Abend "Schule braucht Persönlichkeit"