Einsichten während der Coronakrise im Mentoringprojekt "Reporter_innen unterwegs"

Das seit Sommer 2019 an der PHBern laufende Mentoring-Projekt «Reporter_innen unterwegs» ermöglicht es den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen, als Reporterinnen und Reporter ihr Quartier zu erkunden. Sie führen Interviews und erstellen Audio- und Bildaufnahmen. Bei dieser Arbeit werden sie von ihrer Mentorin oder ihrem Mentor insbesondere im visuellen und sprachlichen Ausdruck unterstützt. In Gruppentreffen findet ein gemeinsamer Austausch unter den Reporterinnen und Reportern statt. An diesen Treffen wird zudem der Rahmen für die Veröffentlichung der entstandenen Arbeiten festgelegt.

Von: Sabine Lütolf und Simone Suter, Projektleitung, PHBern

Die am Projekt teilnehmenden Studierenden der PHBern werden im Rahmen eines Wahlmoduls von einem interdisziplinär zusammengesetzten Team von Dozierenden begleitet und auf ihre Rolle vorbereitet. Als Mentorinnen und Mentoren gewinnen die Studierenden Einblick in verschiedenste Lebenswelten. Sie lernen, ihre Beobachtungen zu dokumentieren. Sie reflektieren ihre eigene Positionierung im sozialen Raum und werden sich ihrer Normalitätsvorstellungen bewusst. Ihre Kompetenzen wachsen bei der differenzsensiblen Gestaltung von Lernräumen wie auch im Bereich partizipativer Metho-den.

Mit der Schulschliessung aufgrund der Coronakrise ist der Kontakt zwischen den Mentorinnen und Mentoren und den Kindern und Jugendlichen, ihren Mentees, nicht abgebrochen. Einige der Mentees erhalten von ihren Mentorinnen oder Mentoren Unterstützung, sei es, wenn Schwierigkeiten beim Bearbeiten der schulischen Aufträge entstehen oder auch einfach durch die persönliche Zuwendung in einem Telefongespräch oder durch eine Karte im Briefkasten. Für die Studierenden, so die Rückmeldungen, wird nun noch eindrücklicher sichtbar, wie unterschiedlich die Familienverhältnisse sind, wie Schülerinnen und Schüler und ihre Familien durch die Schulschliessung gefordert sind und mit welchen Herausforderungen sie beim Fernunterricht konfrontiert sind.

Eine Studentin stellt fest, dass in einer fünfköpfigen Familie die Aufträge der Schule nicht erfüllt werden können, weil lediglich ein elterliches Handy zur Verfügung steht. In einer anderen Familie, so die Schilderung eines Mentors, stellt der wöchentliche Aufgabenplan eine grosse Herausforderung und Anlass für Spannungen dar, weil die seit fünf Jahren in der Schweiz lebenden Eltern die Aufträge nicht verstehen: Der Aufforderung, mit den Kindern kurz zu repetieren, was ein Adverb sei, kann nicht nachgekommen werden. Ebenso stellt das Begleiten der Aufträge in Französisch viele Familien vor unüber-windbare Herausforderungen. Eine Mentorin erfährt, wie eine Mutter gefordert ist, Homeoffice und die Begleitung von Fernunterricht zu koordinieren: Während die eine Tochter stundenlang an ihren Aufträgen arbeitet, hat die andere bereits nach einer Stunde alles erledigt und langweilt sich. Eine andere Familie ist seit der Schulschliessung und dem Lockdown nicht mehr erreichbar, die SMS der Mentorin bleiben unbeantwortet, die WhatsApp-Nachrichten werden nicht gelesen, die Lehrstellensuche fand ein abruptes Ende; weder die Lehrerin noch die Schulsozialarbeiterin wissen, wie es der Familie geht. Gleichzeitig verfassen andere Kinder mit Unterstützung ihrer Mentorinnen weiterhin als Reporterin oder Reporter neue Berichte aus dem Quartier.

Ein Student hält rückblickend fest, dass die Mitarbeit im Mentoring-Projekt ihm vor Augen geführt habe, mit welchen Anforderungen Familien konfrontiert sein können. Es wurde offenkundig, wie Kinder vor Hürden stehen, die sie alleine nicht zu überwinden vermögen. Das könne, so die weiteren Gedan-ken dieses Mentors, zu Benachteiligungen führen, welche die Entwicklung und letztlich auch die Biografie der einzelnen Kinder und Jugendlichen in grossem Masse beeinflussen. Der vertiefte Einblick in die Lebenswelten und den Alltag von Kindern dank ihrer Rolle als Mentorin sei, so eine Studentin, ein «wichtiger Baustein für ihren künftigen Beruf als Lehrperson». Und, so fügt eine andere Studentin an, es sei spannend, an der PH vermittelte Inhalte im «echten Leben» beobachten und analysieren zu können – etwa die sich aktuell deutlich manifestierenden sozialen Ungleichheiten

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