Lernsituationen ausserhalb des Klassenzimmers nachhaltig gestalten

Raus aus dem Klassenzimmer, rein in die reale Welt: Warum Erfahrungen an ausserschulischen Lernorten positiv wirken und wie sie nachhaltig genutzt und integriert werden können, erklären Stefan Valkanover und Vitus Furrer vom Fachdidaktikzentrum (FDZ) der PHBern im Interview.
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Lernerfahrungen ausserhalb des Unterrichtsraums, also ausserschulische Lernorte, sind ein gemeinsamer Nenner der drei Masterstudiengänge des FDZ. Was verstehen Sie darunter? 

Stefan Valkanover, Leiter FDZ und Co-Leiter FDZ Sport: Ausserschulische Lernorte sind Bestandteil des Unterrichts. Es handelt sich um Lernräume ausserhalb des Klassenzimmers, die eine eigene Funktion und Qualität haben. Die Erfahrung der Lernenden geschieht unmittelbar und direkt, in der Begegnung mit dem Gegenstand, den Menschen oder dem Ort des Lernens. Sie dienen als eine Art "Vermittler und Brücke" zwischen der komplexen Umwelt und der Lernsituation im Schulzimmer. Dazu braucht es verschiedene Kompetenzen der Lehrpersonen, und wir als Fachdidaktikzentrum helfen, diese weiterzuentwickeln.

Welche Kompetenzen brauchen die angehenden Lehrpersonen dazu?

Vitus Furrer, Dozent FDZ: Es werden ganz verschiedene Kompetenzen von den Lehrpersonen verlangt: Zuerst müssen sie sich fragen, wo etwas Elementares im Hinblick auf ein Thema gelernt werden kann. Als Nächstes müssen sie sich natürlich auch trauen, die Klasse beispielsweise an einen Bach zu führen und die Schülerinnen und Schüler selbst entdecken und erforschen zu lassen. Was genau an diesen Lernorten realisiert wird, ist also in der Regel offener formuliert und freier gestaltet als im Unterricht in der Schule und bedingt meistens mehr Organisation. Und schliesslich sind die vermittelten Inhalte zu überprüfen: Was wirkt jetzt und welche Bedeutung haben sie in Zukunft für die Lernenden?

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PHBern Ausserschulische Lernorte Fachdidatikzentrum

Masterstudierende des Fachdidaktikzentrums der PHBern bei einer Klettersession ausserhalb des Klassenzimmers.

Was ist der Vorteil von ausserschulischen Lernorten?

Stefan Valkanover: Es gibt viele Studien, die die positiven Wirkungen auf der Wissens- und der Gefühlsebene der Teilnehmenden empirisch belegen. Die alltägliche Routine wird unterbrochen und damit eröffnen sich den Schülerinnen und Schülern neue Horizonte. Denken Sie nur an Lager oder Ausflüge, die für eine Klasse sehr lehrreich und prägend sein können. Wichtig dabei ist, dass die direkte Begegnung mit dem Lernthema wie auch mit Menschen und Orten im Mittelpunkt stehen. Die Kompetenz der Lehrpersonen ist dabei eine entscheidende Voraussetzung, um das Potenzial ausserschulischer Lernorte auszuschöpfen.

Wie schöpft man das Potenzial von ausserschulischen Lernorten voll aus?

Vitus Furrer: Die sorgfältige Vor- und Nachbereitung des ausserschulischen Lernens sind enorm wichtig, damit sie nachhaltig wirken. Sagen wir, in einem Kletterpark kommen die Themen Angst und Vertrauen auf. So etwas kann man einerseits vorher thematisieren, aber auch im Nachhinein im Klassenzimmer wieder aufgreifen und anhand der konkreten Situation analysieren, reflektieren und integrieren. Das ist die grosse Chance von ausserschulischen Lernorten: Sie sind nichts Separates, sondern zielen auf Nachhaltigkeit, indem ein Transfer von draussen in die Schule oder umgekehrt stattfindet.

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Ausserschulische Lernorte

Die alltägliche Routine wird unterbrochen und damit eröffnen sich den Schülerinnen und Schülern neue Horizonte.

Welchen Stellenwert haben diese im schulischen Kontext?

Stefan Valkanover: Sie haben sicherlich an Stellenwert gewonnen. Wie ausserschulische Orte genutzt werden, hängt jedoch sehr von der Lehrperson ab. Im Lehrplan 21 haben ausserschulische Erfahrungen eine zentrale Bedeutung.

Vitus Furrer: So wie ich es sehe, erfährt das ausserschulische Lernen fast eine Art Renaissance. Wir wissen von Schulen, die das Konzept des ausserschulischen Lernens in ihrem Leitbild aufgenommen haben. Alle Schülerinnen und Schüler lernen, spielen und arbeiten einen halben Tag pro Woche draussen. Die Klassenlehrpersonen arbeiten dabei mit einer Naturpädagogin oder einem Naturpädagogen zusammen.

Zurück zum FDZ und seinem Auftrag. Welche interdisziplinären Angebote sind in Zusammenarbeit mit allen drei Masterstudiengängen angedacht?

Stefan Valkanover: Unser Projekt "AlpenLernen" in Zusammenarbeit mit der Stiftung UNESCO-Welterbe Swiss Alps Jungfrau-Aletsch (SAJA) und dem Schweizer Alpen-Club (SAC) ist ein grosses Feld für Interdisziplinarität mit grossem Praxisbezug. In einer Projektwoche tauchen Schülerinnen und Schüler in die Welt der Berge ein, lernen, wie der Alpenraum genutzt und gleichzeitig geschützt werden kann und entdecken zusammen mit einem Bergführer den Bergsport. Die Projektwochen werden im Herbst wieder durchgeführt und Studierende der Fachdidaktikstudiengänge werden erneut dabei sein. Sie knüpfen daran an, was die erste Gruppe von Masterstudierenden im vergangenen Jahr entwickelt und erforscht hat und sorgen so für Nachhaltigkeit in der Zusammenarbeit und im Wissenstransfer. 

Vitus Furrer: In diesem Jahr versuchen wir, mit Masterstudierenden aus dem Fach Textiles und Technisches Gestalten-Design (TTG-D) Produkte für die Projektwoche zu entwickeln, die die nachhaltige Entwicklung fachspezifisch thematisieren. Das Ziel ist, eine Unterrichtseinheit zu entwickeln und durchzuführen, beispielsweise zum Thema Kleidung, Wasserversorgung oder Ordnungssysteme in SAC-Hütten. Damit schaffen wir Möglichkeiten, gemeinsam mit den Fachdidaktik-Studierenden Sport unterwegs zu sein und Themen zu bearbeiten.

Am 29. April findet in Luzern die Fachdidaktik-Studierenden-Tagung in der BNE Fabrik statt. Jetzt anmelden!