Gute Beurteilung ist ein anspruchsvolles Handwerk

Beurteilen stellt hohe Anforderungen an Lehrpersonen. Welche Verzerrungen dabei wirken und wie dem entgegenzutreten ist, erklärt Beurteilungsexpertin Nicole Zurkinden. Sie hat den neuen CAS-Lehrgang Beurteilen mitentwickelt.
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Nicole Zurkinden

Nicole Zurkinden ist Lehrerin im Zyklus 3 und Dozentin für Fachdidaktik Englisch am Institut für Weiterbildung und Dienstleistungen der PHBern. Sie hat den neuen Lehrgang mitentwickelt. (Foto: Jeffrey Hofer)

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Beurteilen gehört zum Kerngeschäft von Lehrpersonen. Gleichzeitig fordert es sie immer wieder heraus. Warum?

Beurteilung soll einerseits das Lernen fördern und andererseits der verantwortungsvollen Selektion dienen. Das ist ein Spannungsfeld. Darin müssen sich Lehrpersonen zurechtfinden.

Was macht gute Beurteilung aus?

Eine gute Beurteilung ist kompetenzorientiert und motiviert Schülerinnen und Schüler zum Weiterlernen. Die formative Beurteilung ist also förderorientiert, die summative Beurteilung ist transparent und nachvollziehbar. So erhalten die Lernenden eine aussagekräftige Rückmeldung zu ihrer Performanz. Und zwar anhand von Kriterien oder Kompetenzbeschreibungen. Dies kann nur gelingen, wenn die Beurteilung von Anfang an Bestandteil der Unterrichtsplanung ist.

Ist objektive Beurteilung ein Mythos?

Ja, das ist ein Mythos. Solange Menschen andere Menschen beurteilen, ist Beurteilung immer subjektiv. Es gibt aber Massnahmen, um möglichst kontrolliert subjektiv zu beurteilen. Welche sind das? Es gibt viele empirisch nachgewiesene Effekte, die eine Beurteilung verzerren können. Sie wirken sich nicht nur auf die Genauigkeit der Bewertungen, sondern letztlich auch auf die Leistungen und die Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler aus. Lehrpersonen können sich mögliche Beurteilungsfehler selbst bewusst machen oder gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen Normen und Prozesse in Form einer gemeinsamen Beurteilungspraxis festlegen. Auch das regelmässige Einholen von Feedbacks bei ihren Schülerinnen und Schülern ist dafür hilfreich.

Was ist Ihre persönliche Herausforderung bei der Beurteilung?

Das Spannungsfeld zwischen Förderung und Selektion ist für mich eine grosse Herausforderung. Zudem beschäftige ich mich vertieft mit der Problematik der Ziffernnote, des Prädikats und anderer Skalierungen, die im Widerspruch zur kompetenzorientierten Beurteilung stehen. Studien haben gezeigt, dass Noten weder objektiv noch gerecht sind, weil sie kein aussagekräftiges Urteil über den Kompetenzstand von Schülerinnen und Schülern machen. Gleichwohl sind Lehrpersonen verpflichtet, am Ende des Schuljahres eine Note in den Beurteilungsbericht zu setzen. Deswegen nutze ich die Freiheit, während des Schuljahres auf andere Beurteilungsformen zurückzugreifen.

Was wird im neuen CAS Beurteilen konkret vermittelt?

Im Lehrgang entwickeln die Lehrpersonen ihre Beurteilungs- und Diagnosekompetenzen weiter, um den Anforderungen der kompetenzorientierten Beurteilung gerecht zu werden. Sie lernen Gütekriterien und Instrumente verschiedener Beurteilungsformen kennen. Und sie erhalten Raum für Diskussionen und Reflexionen, in denen Spannungsfelder, Dilemmata und Mythen der Beurteilung tiefgründig analysiert und reflektiert werden. So können sie sich ausführlich mit ihrer eigenen Beurteilungspraxis auseinandersetzen.

An wen richtet sich der Lehrgang?

Der Lehrgang ist für alle Lehrpersonen geeignet, die bereit sind, ihre pädagogischen  und didaktischen Grundhaltungen zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Solche Lehrpersonen sind als Steuergruppenmitglieder an einer Schule für die Unterrichts- und Schulentwicklung sehr gefragt – zum Beispiel für die Erarbeitung eines Beurteilungskonzeptes. Der CAS richtet sich gleichzeitig an Personen, die Weiterbildungen zur Beurteilung durchführen. Auch für sie ist es wichtig, sich im Thema ständig weiterzubilden.

Der Lehrgang startet im März 2023.