"Ohne diesen Kurs hätte ich nie so schnell Deutsch gelernt"

Die Pädagogische Hochschule PHBern bietet seit Mai 2022 einen Online-Deutschkurs für ukrainische Schülerinnen und -schüler an. Wie das Angebot funktioniert und was es bringt, erzählen die Projektleiterin Yuliya Pyvovar und der Schüler Oleksandr Borodin.
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Deutsch als Fremdsprache-Mitinitiantin Yuliya Pyvovar und ihr Schüler Oleksandr Borodin.
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Oleksandr, du besuchst seit Sommer 2022 die Sekundarstufe I Hochfeld im Berner Länggassquartier. Wie findest du dich in der neuen Klasse zurecht?

Oleksandr: Gut. Die Lehrpersonen gehen – viel mehr als in der Ukraine – auf die individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler ein. Ich fühle mich bestens unterstützt. Und ich habe in der Klasse Freundschaften geschlossen.

Wie war das für dich, plötzlich in einem anderen Land zu sein?

Oleksandr: Zu Beginn war mir vieles unverständlich, nicht nur der Sprache wegen. Die Mentalität ist anders als in der Ukraine. Die grosse Hilfsbereitschaft der Leute hat uns – um ein Beispiel zu nennen – zunächst misstrauisch gemacht. Wir wussten nicht, ob sie ehrlich gemeint ist. Irritiert hat uns auch, dass hier die sozialen Unterschiede kaum sichtbar sind. Wer in der Ukraine Geld hat, zeigt das. Hier wird Reichtum eher versteckt.

Konntest du schon ein wenig Deutsch, bevor du in die Schweiz kamst?

Oleksandr: Nur ein paar Brocken. Meine Muttersprachen sind Ukrainisch und Russisch. In der Schule habe ich Englisch und Französisch gelernt.

Frau Pyvovar, Sie leiten an der PHBern das Online-Projekt "Deutsch als Fremdsprache" (DaF-Online) – ein Deutschkurs für ukrainische Schülerinnen und Schüler.

Wie funktioniert das Angebot?

Pyvovar: Ukrainische Deutschlehrpersonen unterrichten online ukrainische Schülerinnen und Schüler im Alter von 8 bis 15 Jahren. Der Kurs findet während der Unterrichtszeiten statt und umfasst je nach Klasse drei oder fünf Lektionen pro Woche – mehrheitlich Letzteres.

Welche Voraussetzungen müssen die Schülerinnen und Schüler mitbringen, um am Kurs teilzunehmen?

Pyvovar: Sie müssen die lateinische Schrift beherrschen und einen Einstufungstest machen. Das sind die einzigen Voraussetzungen. Die Anmeldung erfolgt über die Klassenlehrperson. Zurzeit führen wir 13 Klassen mit insgesamt rund 100 Schülerinnen und Schülern. Wir versuchen, die Klassen bezüglich Niveau und Alter möglichst homogen zusammenzusetzen.

Oleksandr, was bringt dir DaF-Online?

Oleksandr: Ohne diesen Kurs hätte ich nie so schnell Deutsch gelernt. Ein entscheidender Vorteil ist, dass wir von ukrainischen Lehrpersonen unterrichtet werden. Sie können uns aufzeigen, wo gewisse Strukturen der ukrainischen oder russischen Sprache in Deutsch wiederzufinden sind oder uns von typisch ukrainischen oder russischen Begriffen ein deutsches Pendent nennen. Da einige der Lehrpersonen schon länger in der Schweiz leben, können sie uns auch auf interkulturelle Missverständnisse hinweisen. Das hilft.

Gibt es entsprechende Angebote auch in anderen Kantonen?

Pyvovar: Meines Wissens nicht oder nicht in diesem Umfang. Bern leistet Pionierarbeit. Wir werden oft von Lehrpersonen gefragt, ob Schülerinnen und Schüler mit anderer Muttersprache am Kurs teilnehmen können. Das ist zurzeit nicht vorgesehen, wäre aber grundsätzlich möglich.

Wer hat DaF-Online initiiert? Der Kanton oder die ukrainische Community?

Pyvovar: Ich bin im März 2022 in Bern eingetroffen und habe sofort recherchiert, wo ich als Dozentin für Deutsch in der Schweiz arbeiten könnte. Dabei bin ich auf die PHBern gestossen. Sie lancierte zu diesem Zeitpunkt verschiedene Projekte, um die Schulen bei der Begleitung der ukrainischen Schülerinnen und Schüler zu unterstützen und zu entlasten. Eines davon war DaF-online. Also habe ich mich dort gemeldet.

Oleksandr, du wechselst im Sommer ans Gymnasium. Fühlst du dich bereit dafür?

Oleksandr: Ja. Ich freue mich sehr aufs Gymnasium, auch wenn ich weiss, dass ich noch an meiner Sprachkompetenz arbeiten muss. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass ich als Kind davon geträumt habe, einmal in der Schweiz zu studieren.

Wieso träumt ein ukrainisches Kind von einem Studium in der Schweiz?

Oleksandr: Ich habe gehört, dass die Schweiz gute Universitäten hat … (schmunzelt). Ich will Wirtschaft studieren, wenn möglich an der Hochschule St. Gallen. Mein Grossvater, meine Mutter und mein Vater sind allesamt unternehmerisch tätig. Das inspiriert mich.