"So können Menschen mit Benachteiligung ihr Potenzial entfalten"

Das Ziel ist klar: Möglichst alle Menschen sollen an Arbeit, Bildung und Gesellschaft teilhaben können. Doch was für Arbeitssettings und Kommunikationsmittel braucht es dafür? Antworten liefert ein für die Schweiz neuer Studiengang am Institut für Heilpädagogik der PHBern. Einblicke gibt Dozentin Sabine Williner im "Einsteiger", einer Interviewserie des Mittelschul- und Berufsbildungsamts des Kantons Bern.
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Sabine Williner am Laptop

Sabine Williner ist Expertin für integrative und inklusive Bildung sowie den Umgang mit Heterogenität. (Bild: Rolf Marti, komma pr – Büro für Kommunikation)

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Im November startet an der PHBern der Studiengang "Arbeitssettings und Kommunikation inklusiv gestalten". Weshalb braucht es ihn?

Der Zugang zu Dienstleistungen und Informationen ist ein Menschenrecht. Doch vieles davon ist weder barrierefrei zugänglich noch leicht verständlich. Dadurch werden Menschen mit einer Sinnesbehinderung, einer kognitiven Einschränkung, wenig Kenntnissen der verwendeten Sprache oder geringen digitalen Kompetenzen ausgeschlossen. Hier setzt unser neuer CAS (Certificate of Advanced Studies) an: Er geht der Frage nach, wie man Dienstleistungen und Informationen für Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen zugänglich und verständlich gestaltet.

Der Studiengang ist ein Novum für die Schweiz. Welche Zielgruppen sprechen Sie an?

Einerseits Lehrpersonen aller Bildungsstufen, die ihren Unterricht inklusiv gestalten wollen. Andererseits Fachpersonen aus der Verwaltung, der Kommunikation, dem Marketing oder dem Gesundheitswesen. Allgemein gesagt: Der CAS richtet sich an alle, die mit ihren Informationen, Dienstleistungen oder Produkten auch Menschen mit Behinderungen oder geringen Sprachkenntnissen erreichen wollen oder dies von Gesetzes wegen müssen. Letzteres gilt beispielsweise für Verantwortliche in öffentlich-rechtlichen Institutionen.

Sie studieren am Institut Sekundarstufe I, werden also später Jugendliche vom 7. bis 9. Schuljahr unterrichten. Warum gerade diese Altersgruppe?

Weil in diesem Alter unglaublich viel in Bewegung ist – im Kopf, im Herzen, im Leben. Ich möchte Jugendliche dabei begleiten, ihre Interessen zu entdecken, ihre Meinungen zu bilden und Werte wie Offenheit, Empathie und Toleranz zu entwickeln. Es ist eine herausfordernde, aber auch unglaublich prägende Lebensphase. Genau deshalb reizt sie mich.

Wie ist der CAS aufgebaut? Was wird thematisiert?

Der CAS besteht aus den drei Modulen "Grundlagen der Inklusion", "Digitale Barrierefreiheit" und "Leichte Sprache", wobei Interessierte auch nur einzelne Module belegen können. Am Ende steht eine Abschlussarbeit. In Modul 1 entwickeln wir ein gemeinsames Verständnis für die Herausforderungen der Inklusion und eine gemeinsame Sprache. Weiter befassen wir uns mit den rechtlichen Grundlagen der Inklusion. In den Modulen 2 und 3 geben wir den Teilnehmenden Instrumente an die Hand, mit denen sie in ihrem Berufsfeld Angebote und Informationen so gestalten können, dass sie möglichst viele Menschen erreichen.

Konkret: Welche Kompetenzen erwerben die Teilnehmenden?

In einem ersten Schritt lernen sie, Barrieren im analogen und im digitalen Raum zu erkennen. Warum wird meine Information an die Erziehungsberechtigten nicht verstanden? Weshalb melden sich gewisse Zielgruppen nicht für meinen Kurs an? Liegt es an der Sprache? Ist das gewählte Medium nicht für alle zugänglich? In einem zweiten Schritt lernen die Teilnehmenden, inklusive Lösungen zu entwickeln. Zum Beispiel: Wie formuliere ich einen Brief so, dass ihn möglichst alle verstehen? Wie stelle ich sicher, dass auf meiner Website Menschen mit eingeschränkter Motorik navigieren können? Oder: Wie muss ich unterrichten, damit mir Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen folgen, sich einbringen und ihren Lernerfolg dokumentieren können?

Was ändert sich, wenn möglichst viele Fachpersonen diese Ausbildung absolvieren?

Menschen mit Benachteiligungen erhalten einen gleichberechtigten Zugang zur Arbeits- und Lebenswelt. Dadurch können sie ihr Potenzial voll entfalten. 

Zum Schluss: Wie hält es der Studiengang selbst mit Inklusion?

Menschen mit Behinderung sind ein integraler Bestandteil dieses CAS. Sie wirken einerseits als Referentinnen und Reflexionspartner mit, die beispielsweise Einblick in erfolgreiche Umsetzungen in der Praxis bieten. Andererseits ist eine enge Kooperation mit der Diplomausbildung «Fachperson Inklusion für Menschen mit Behinderung» (F-INK) vorgesehen, die wir ebenfalls an der PHBern anbieten und die sich an Menschen mit Behinderung richtet. Die Teilnehmenden beider Lehrgänge nehmen regelmässig an gemeinsamen Lerneinheiten teil. So kann bereits im CAS praktisch erprobt werden, wie erfolgreiche Inklusion funktioniert.