Ungewissheitstoleranz: Schlüsselkompetenz der Schulführung

Was können Schulleitende vom Profisport lernen? Was heisst Resilienz auf dem "Spielfeld Bildung"? Wie gelingt Veränderung nachhaltig? Ex-Profisportler Kevin Lötscher und Sportpsychologe Jörg Wetzel haben Antworten.
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IKAS Tagung 2022
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Nach einem Unfall mussten Sie den Profisport verlassen und sich neu orientieren. Heute sind Sie "Vater, Unternehmer, Referent und Speaker", wie Sie auf Ihrer Webseite schreiben. Wie gelingt solch eine einschneidende Veränderung? 

Kevin Lötscher: Die Veränderung passiert so oder so. Wichtig ist, wie ich damit umgehe, ich entscheide. Ich musste mir klar werden, dass ich die Situation nicht mehr verändern kann. Ich bin sehr dankbar, dass mich meine Familie und mein nahes Umfeld beim Akzeptieren der Situation, der Verarbeitung und dem Loslassen unterstützt haben. Erst dann konnte ich mir neue Ziele setzen und vorwärtsgehen. 

Welche Analogien sehen Sie zwischen Profisport und Führungsjobs? 

Analogien sehe ich sehr viele: auf etwas hinarbeiten, sich Ziele setzen, Verantwortung übernehmen, Entscheidungen treffen… Es läuft nicht immer so, wie man es sich gerade vorstellt, aber man macht das Beste daraus – wird anpassungsfähig. Man feiert Siege und lernt aus Niederlagen. Eine positive Einstellung zur Arbeit hilft … und und und! 

Inwiefern spielt Entschleunigung eine Rolle im Arbeitsalltag – auch für Schulleitungen? 

Ich denke, es ist wichtig, dass sich jeder Mensch täglich ein wenig Zeit für sich nimmt. Zur Ruhe kommen und sich Gedanken über sich selbst zu machen, gewinnt in der heutigen Zeit mit dieser "Reizüberflutung" immer mehr an Bedeutung. Bevor ICH als Mensch nicht funktioniere, funktioniert gar nichts um mich herum! 

"SORGHA" ist eines Ihrer zentralen Mottos. Wie lässt sich das Motto auf das Berufsfeld Schule übertragen? 
"SORGHA" ist der Name meiner Firma und wie wichtig "Sorg ha" wirklich ist, habe ich durch meine persönlichen Erfahrungen gelernt. Ich habe eine Weltmeisterschaft gespielt, weil ich mir und meinem Körper Sorge getragen habe und ich bin aus tiefen Depressionen wieder herausgekommen, weil ich mir Sorge getragen habe. Sich selbst Sorge zu tragen, hängt stark von den eigenen Werten und Prioritäten ab. 

Als Business-Coach und Sportpsychologe unterstützen Sie Teams in Sport und Wirtschaft bei ihrer Weiterentwicklung. Wie passen Sport und Change-Management zusammen? 

Jörg Wetzel: AthletInnen, TrainerInnen, Teams, ja sämtliche Stakeholder im Sport sind es gewohnt, sich auf verändernde Situationen mit viel Flexibilität und Agilität zu reagieren. Dabei gilt es, einen Unterschied zu ziehen zwischen kontrollierbaren und nicht kontrollierbaren Faktoren bezüglich des Umgangs damit und der eigenen Einstellung bzw. des eigenen Mindsets. Diese sogenannte Änderungsbereitschaft und Ungewissheitstoleranz prägen in Zeiten der Unsicherheit und wirken sich auf das Change-Management in Sport wie auch in der Wirtschaft aus. 

Resilienz ist eines Ihrer Kernthemen. Was kann das Berufsfeld Schule diesbezüglich aus der Sportpsychologie lernen? 
Unter Resilienz verstehen wir eine innere Widerstandsfähigkeit, und zwar nicht nur in Krisensituationen, sondern auch bezüglich des eigenen Umgangs mit schwierigen und herausfordernden Situationen. Bereiche oder Wirkfaktoren, welche Resilienz prägen, sind u.a. die Ressourcenorientierung, ein realistischer Positivismus, eine Lösungs- und Zukunftsorientierung, die Selbstwirksamkeitsüberzeugung oder eine Netzwerkorientierung. Alles Faktoren, welche im Schulalltag in der Führung oder im Unterricht umsetzbar sind – höchst wünschenswert. 

Schulteams bestehen nicht nur aus "High-Performern" und "Spitzenteams". Sie sind Abbild der Gesellschaft – und damit sehr durchmischt. Was empfehlen Sie Schulleitenden, die trotzdem maximale Performanz erreichen möchten – dabei aber alle im Boot behalten? 
Eine bunte Durchmischung, bzw. eine gesunde Heterogenität sind gute Anzeichen von Teams und dienen jeder Gruppe. Wenn es darum geht, Leute noch mehr im Boot zu haben und zu mehr Leistung zu motivieren, dann kommt es neben der Berücksichtigung von persönlichen Ausprägungen und Verhaltensweisen vor allem auf Faktoren an wie Autonomie, innere Motivation, Selbstkonkordanz und Mitspracherecht, Gestaltungsfreiräume und flankierende Führungskontrolle und dies in einem optimalen Verhältnis. Ein nicht einfaches Unterfangen, die perfekte Mischung davon zu erreichen. 

Haben Sie weitere Fragen an Jörg Wetzel oder Kevin Lötscher? Fragen Sie sie selbst! An der IKAS-Tagung 2022.  

Die 14. Interkantonale Tagung für Schulleiterinnen und Schulleiter der Kantone Bern, Freiburg, Wallis findet am 9. und 10. September 2022 in Magglingen/Biel statt.