Wenn der Honeymoon-Effekt nachlässt

Eine Langzeitstudie der PHBern zeigt, dass das Engagement von Schülerinnen und Schülern nach der GYM1 nachlässt. Das Forscherinnenteam zeigt auf, warum das so ist und wie Lehrpersonen unterstützend wirken können.
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Education 04-24: MEGY_B.Stalder_F.Templer

Das Forschungsteam (v.l.n.r.): Barbara Stalder, Miriam Weich und Franziska Templer

NEWS —

Das Engagement von Gymnasiastinnen und Gymnasiasten im Kanton Bern verändert sich im Laufe der vier Jahre an der Sekundarstufe II. Ist das Engagement zu Beginn noch recht hoch, sinkt es ab dem zweiten Jahr kontinuierlich. Das zeigt die Langzeitstudie "Mit Erfolg durchs Gymnasium", kurz MEGY (siehe Infobox). Befragt wurden rund 1'400 Jugendliche im Kanton Bern zu den Fächern Deutsch, Französisch und Mathematik. Aus den Ergebnissen lässt sich ableiten, welche Faktoren das Engagement der Schülerinnen und Schüler beeinflussen. Lehrpersonen spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie haben Gestaltungsmöglichkeiten, wie sie das Engagement in ihren Klassen fördern können.

Hangover nach einem Jahr

"Im ersten Jahr tritt der sogenannte Honeymoon-Hangover-Effekt ein und das Engagement sinkt", kommentiert Franziska Templer die Ergebnisse. Sie ist Dozentin am Institut Sekundarstufe II der PHBern und Co-Projektleiterin. Eine mögliche Erklärung für den Effekt: Die Begeisterung für die neue Schule, die neue Umgebung, für neue Lehrpersonen wie auch neue Mitschülerinnen und Mitschüler flacht ab und eine Art Ernüchterung tritt ein. Die Jugendlichen werden in ihrem Urteil differenzierter und schätzen ihre Interessen entsprechend weniger positiv ein. Nicht nur das Engagement, auch das Interesse sinkt.

Interesse nach Fächern

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MEGY-Diagramm-Interesse

T0 zeigt das Interesse zu Beginn des Gymnasiums, T1 am Ende des GYM1

Je nach Fach unterschiedlich engagiert

Eine weitere Erkenntnis: Das Engagement ist fachspezifisch. Diese Tendenz nimmt im Laufe des Gymnasiums zu. Eine Schülerin kann für Mathematik begeistert sein, aber wenig Interesse an Französisch zeigen. Es kristallisieren sich ausserdem verschiedene Interessensprofile heraus, z. B. sprachlich Interessierte im Vergleich zu mathematisch Interessierten. Und noch was fällt laut Franziska Templer auf: "Wir haben in unserer Studie festgestellt, dass sich etwa 7 Prozent der Jugendlichen für keines der untersuchten Fächer Mathematik/Französisch/Deutsch besonders interessieren. Man kann hier von völlig demotivierten Schülerinnen und Schülern sprechen."

Hintergrund der Langzeitstudie

Die MEGY-Studie untersuchte das Engagement von Gymnasiastinnen und Gymnasiasten in den Fächern Deutsch, Mathematik und Französisch während ihrer vierjährigen Gymnasialzeit von 2017 bis 2021. Das Projekt wurde geleitet von Prof. Dr. Barbara E. Stalder, Dr. Franziska Templer und Dr. Miriam Weich (Teilstudie zu Mathematik), assistiert von Fabienne Lüthi, Sabine Lehmann, Isabelle Fischer und Janko Käser. Es gab fünf Befragungswellen. Im ersten Jahr füllten die Schülerinnen und Schüler zwei Fragebogen aus, danach einen jeweils am Ende des Schuljahres.

An jeder Befragung nahmen rund 1'400 Lernende der deutschsprachigen (auch zweisprachigen) öffentlichen und privaten Gymnasien aus über 70 Klassen aus dem Kanton Bern teil.

Untersucht wurden verschiedene Dimensionen von Engagement. Zum Beispiel, welche Emotionen Jugendliche beim Lernen haben, wie aktiv sie sich am Unterricht beteiligen oder ob sie tiefenbasierte Lernstrategien anwenden. Ziel war es, besser zu verstehen, warum sich Schülerinnen und Schüler unterschiedlich für die drei Fächer einsetzen, wie sich ihr Engagement über die Zeit entwickelt und welche Auswirkungen dies auf ihre Leistung und ihre Ausbildungszufriedenheit hat.

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Zufrieden, wenn der Einsatz stimmt

Die Daten verraten auch, dass die Zufriedenheit mit den Noten ebenfalls fachspezifisch ist. Jemand kann mit einer 4 in Mathematik zufrieden sein, aber im Fach Deutsch muss es mindestens eine 5 sein. Schulerfolg bedeutet nicht nur, gute Noten zu erreichen. Erfolg beinhaltet für Schülerinnen und Schüler beispielsweise auch, "dass ich einmal den Weg gehen kann, den ich will". Oder: "Freude an dem zu haben, was man macht, und zufrieden mit sich selbst sein." Die Zufriedenheit ist dann gross, wenn der Einsatz im Vergleich zum Resultat verhältnismässig ist. Noten und Zufriedenheit beeinflussen gemäss den Studiendaten das Engagement. Und umgekehrt: Wer engagierter ist, kann öfter Erfolge feiern, und dies stärkt wiederum das Engagement und die Selbstwirksamkeitserwartungen. Ein neuer, wichtiger Begriff, der ins Spiel kommt.

Hohe Selbstwirksamkeitserwartungen motivieren

In der Studie haben sich diverse Einflussfaktoren auf das Engagement herauskristallisiert. Miriam Weich, Dozentin am Institut für Forschung, Entwicklung und Evaluation (IFE), hebt hohe Selbstwirksamkeitserwartungen als einen zentralen Punkt für das Engagement hervor: "Erleben sich die Schülerinnen und Schüler als kompetent – das heisst, spüren sie 'Ich schaffe das' –, ist das ein sehr stärkendes Gefühl, das motiviert." Neben der Überzeugung, erfolgreich sein zu können, spielt es für das Engagement der Jugendlichen ebenfalls eine grosse Rolle, dass sie den Lernstoff als relevant und nützlich erachten.

Ein Berner Gymnasiast im dritten Jahr, nach seinem Engagement befragt, erzählt: "Am meisten interessiert mich Mathematik und Biologie. Die Sprachen liegen mir nicht. Da gibt es nur Ausnahmen zum Auswendiglernen. Nichts dabei ist logisch." Und damit ist für ihn klar: Hauptsache in den Sprachen genügend bleiben und dort Energie investieren, wo er Spass hat und Erfolgserlebnisse verzeichnet. Damit bestätigt er – er möchte lieber anonym bleiben – die Resultate der Studie: Nicht nur hohe Selbstwirksamkeitserwartungen sind wichtig, sondern auch die
Überzeugung der Schülerinnen und Schüler, dass ihnen das Gelernte und das Engagement in diesem Fach etwas bringt. Sei es für den Alltag oder die eigene Laufbahn. Dann engagieren sie sich. Genau hier können Lehrpersonen den Ball aufnehmen.

Lehrpersonen wirken bestärkend

Beides – sowohl Selbstwirksamkeitserwartungen als auch die erlebte Relevanz der Jugendlichen – können Lehrpersonen beeinflussen. Und dadurch indirekt auch das Engagement. Michael Kägi, ehemaliger Student am Institut Sekundarstufe II, unterrichtet seit 2019 am Gymnasium Biel-Seeland Französisch. Er kann die Resultate der Langzeitstudie aus eigener Erfahrung bestätigen. "Die Schülerinnen und Schüler schätzen an meinem Unterricht offenbar, dass ich die frankophone Kultur lebe und liebe. Meine Begeisterung ist spürbar und steckt sie an. Ich mache sie neugierig, und das ist meiner Meinung nach ein Schlüssel zum Erfolg."

Michael Kägi gestaltet den Unterricht bewusst abwechslungsreich und setzt, wenn immer möglich, die Schülerinnen und Schüler der Sprache aus. Sei es mit Exkursionen, Studienreisen oder Online-Sprachaustausch. Er setzt bereits um, was die erhobenen Daten zeigen: Lehrpersonen spielen eine zentrale Rolle beim emotionalen Engagement der Klasse. Wenn die Schülerinnen und Schüler im Unterricht Erfolgserlebnisse haben sowie strukturiertes und wertschätzendes Feedback zu ihrer Leistung erhalten, schafft das ein gutes Klassenklima und einen sicheren Lernraum. All das fördert das Engagement. Miriam Weich führt aus: "Lehrpersonen müssen nicht nur gut erklären können, sondern auch Spass am Unterrichten und an der individuellen Förderung ihrer Schülerinnen und Schüler haben. Wenn sie ausserdem die Lebenswelt in den Unterricht einbeziehen, wird es richtig konkret und damit auch relevant." Zusammengefasst heisst das: Lehrpersonen können bezüglich des Engagements der Schülerinnen und Schüler mehr bewirken, als sie vielleicht glauben.

Bildung schafft Chancen  dafür setzen sich die Forschenden der PHBern ein.

Das Institut für Forschung, Entwicklung und Evaluation der PHBern fördert mit exzellenter Forschung, gezielter Nachwuchsförderung und einem offenen Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen hochwertige Bildung für alle.