"Die heutige Ergänzungsprüfung ist keine Schikane, sie legt die Basis für ein erfolgreiches Studium"

In der Wintersession wird der Grosse Rat in erster Lesung über Anpassungen beim PH-Gesetz befinden. Dabei geht es auch um die von einer knappen Mehrheit der Bildungskommission (BiK) gewünschte prüfungsfreie Zulassung von Personen mit einer Berufsmaturität ans Institut Primarstufe. PHBern-Rektor Martin Schäfer warnt vor den Nachteilen, die sich zukünftige Lehrpersonen mit dem neuen, nur im Kanton Bern gültigen Lehrdiplom einhandeln würden.
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Martin Schäfer im Interview
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Die Zulassungshürden zur Ausbildung senken, um mehr Lehrpersonen in den Schulen zu haben – das tönt verlockend, oder?

Ja, das tönt sehr verlockend. Seit Jahren hat auch der Kanton Bern jeweils auf Schuljahresbeginn, aber auch während des Jahres, massive Probleme, um alle offenen Stellen an den bernischen Schulen zu besetzen. Vor allem die Schulleitungen, aber auch die Kollegien und nicht zuletzt die Kinder und Jugendlichen leiden unter dem Lehrpersonenmangel. Wenn der Grosse Rat entscheidet, Personen mit einer Berufsmaturität prüfungsfrei zum Studiengang Primarstufe zuzulassen, scheint er mittelfristig etwas gegen den Lehrpersonenmangel zu tun, schafft damit aber viele neue Probleme.

Welche Zugänge gibt es heute zum Studium am Institut Primarstufe?

Mit der Gründung der Pädagogischen Hochschulen kurz nach der Jahrtausendwende wurden die Lehrdiplome von den Kantonen gegenseitig anerkannt, was eine grosse Errungenschaft war. Seither gibt es auch schweizweit gültige Mindestanforderungen betreffend Zulassung, Ausgestaltung und Abschluss der Studiengänge. Zuerst war die gymnasiale Maturität der Königsweg, um an einer Pädagogischen Hochschule ein Lehrdiplom für die Primarstufe oder die Sekundarstufe I erwerben zu können. Insbesondere für die Primarstufe hat man inzwischen weitere Zugänge geschaffen: die Fachmaturität Pädagogik sowie die Ergänzungsprüfung, die für Berufsleute mit und ohne Berufsmaturität angeboten wird. Um sich auf die Ergänzungsprüfung vorzubereiten, kann an der PHBern ein freiwilliger ein- oder zweisemestriger Kurs besucht werden.  

Heute kommt nur noch rund die Hälfte der Studierenden mit einer gymnasialen Maturität ans Institut Primarstufe. Die alternativen Wege bewähren sich sehr.

Welches wären die Folgen, wenn Personen mit Berufsmaturität prüfungsfrei an der PHBern studieren würden?

Um die schweizweite Anerkennung des Lehrdiploms für die Absolventinnen und Absolventen des Studiengangs Primarstufe nicht zu verlieren, müssten wir den neuen Ausbildungsgang separat führen. Das hätte zusätzliche Kosten von rund 2 Millionen Franken pro Jahr für eine Studierendengruppe zur Folge. Die Personen mit Berufsmaturität, die bei uns prüfungsfrei aufgenommen würden, bekämen nach Abschluss ihrer Ausbildung lediglich ein kantonales Lehrdiplom. Sie könnten also nur im Kanton Bern unterrichten. Beliebte Anschlüsse wie der Masterstudiengang Schulische Heilpädagogik oder ein Studium in Erziehungswissenschaft bliebe ihnen verschlossen. Der neue Ausbildungsgang würde also in eine Sackgasse führen. Am meisten Sorgen macht mir aber ein anderer Punkt.

Welcher?

Wer die Ergänzungsprüfung besteht, und das sind rund 75 Prozent der Personen mit einer Berufsmaturität, erhält nicht nur den Zugang zum Studium an der PHBern. Sie oder er hat auch die Gewissheit, für das Studium bei an der PHBern fachlich fit zu sein. Die heutige Ergänzungsprüfung ist aus meiner Sicht keine Schikane, sondern sie legt die Basis für ein erfolgreiches Studium. Mit anderen Worten: Personen, die grössere fachliche Lücken aufweisen, riskieren, die Anforderungen nicht zu erfüllen und damit in der Ausbildung zu scheitern.  

Das müssen Sie erklären.

Alle jene Personen mit Berufsmaturität, die in Zukunft auf das Absolvieren der Ergänzungsprüfung verzichten, begeben sich auf einen Weg voller Stolpersteine. Sie wissen nicht wirklich, ob sie die Voraussetzungen für das Studium an der PHBern erfüllen, und riskieren, dass sie ein Berufsleben lang als Lehrperson zweiter Klasse stigmatisiert werden. Ihre Mobilität ist wie erwähnt eingeschränkt und auch weiterqualifizierende Studiengänge sind für sie nur auf Umwegen möglich. All diese Nachteile in Kauf zu nehmen, um die durchaus machbare Ergänzungsprüfung zu umschiffen? Das wäre ein hoher Preis, den die jungen Menschen längerfristig bezahlen müssten.  

Mit einer Berufsmaturität kann man an der Fachhochschule einen Bachelor erwerben. Warum kann man damit nicht auch an der PHBern Lehrerin oder Lehrer werden?

Die Berufsmaturität hat sich im schweizerischen Bildungssystem sehr bewährt. Es gibt zurzeit fünf Hauptausrichtungen. Jede bereitet auf einen ganzen Strauss von Studiengängen an einer Fachhochschule vor. Es gibt aber keine pädagogische Berufsmaturität. Gäbe es sie, wäre sie der logische Weg zum Studiengang Primarstufe.

Stellen Sie sich vor, Sie möchten mit einer kaufmännischen Berufsmaturität Maschinenbau studieren. Dass Sie da vor Studienbeginn einige zusätzliche Kompetenzen erwerben müssten, ist gut zu verstehen. Das gleiche gilt auch für ein Studium an der PHBern: Wer mit einer Berufsmaturität Primarlehrperson werden möchte, kann die fachlichen Defizite gezielt vor dem Studium im Vorbereitungskurs aufarbeiten und über die Ergänzungsprüfung die Zulassung zum Studium erlangen. Das hat sich bewährt.

Ein Teil der BiK geht davon aus, dass andere Kantone oder gar deren Mehrheit nachziehen würden, wenn der Kanton Bern die Berufsmaturität als Zugang zum PH-Studium erlaubt. Ist das realistisch?

Vor etwa drei Jahren war bereits ein ähnlicher Vorstoss aus dem bernischen Grossen Rat auf nationaler Ebene diskutiert worden. Damals hatten nur ganz wenige andere Kantone Interesse gezeigt, Personen mit einer Berufsmaturität den prüfungsfreien Zugang zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung zu gewähren. Ich nehme nicht an, dass sich diese Haltung in den nächsten Jahren ändern wird.

Herr Schäfer, die PHBern war bisher nicht bekannt dafür, sich zu politischen Fragen öffentlich zu äussern. Warum ist es diesmal anders?

Die PHBern hat den Anspruch, qualitativ hochstehende Aus- und Weiterbildungen anzubieten. Im Fokus stehen die Kinder und Jugendlichen, die heute und in Zukunft unsere Schulen besuchen. Sie haben ein Anrecht auf motivierte und gut ausgebildete Lehrpersonen. Es ist jedoch falsch, für junge, hoch motivierte Erwachsene einen Bildungsweg zu schaffen, der aus den erwähnten Gründen früher oder später in die Sackgasse führen kann.

Was tun Sie, wenn der Grosse Rat trotz Ihrer Warnungen die prüfungsfreie Zulassung für Personen mit Berufsmaturität im PH-Gesetz verankert?

In diesem Fall wird die PHBern den Auftrag des Grossen Rates selbstverständlich umsetzen.