Die Masterarbeitskommission prämiert eine Arbeit, die in Zusammenarbeit von drei Studentinnen entstanden ist: Abisheka Puvanenthiran-Vinayagam, Geraldine Riedo und Jessica Schaffer.
Die Arbeit trägt den Titel: "Unterrichtseinheit zur Sensibilisierung der Schüler:innen der Sekundarstufe 1 gegenüber Menschen mit Beeinträchtigung/Lernschwierigkeiten".
Die drei Studentinnen haben eine qualitativ hochstehende Entwicklungsarbeit mit einem Schwerpunkt in Heilpädagogik geschrieben. Sie fokussieren die Fragestellung, wie Lernende der Sekundarstufe I im Unterricht auf Beeinträchtigungen und Lernschwierigkeiten sensibilisiert werden können.
Dazu wurden Unterrichtsmaterialien entwickelt, die auf differenziert erarbeiteten, theoretischen Grundlagen basieren und dabei sieben Beeinträchtigungen in den Fokus nehmen, welche in Regelklassen anzutreffen sind: Lese- und Rechtschreib-Schwierigkeiten, das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom oder auch die Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung, Rechenschwächen, Autismus-Spektrum-Störungen sowie Seh-, Hör- und motorische Beeinträchtigungen.
Die Autorinnen berühren mit ihrer Arbeit einen sensiblen Bereich in unserem Schulsystem. Die Schweiz hat sich mit der Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention verpflichtet, eine integrative Schule anzustreben. Vermehrt werden Lernende mit diversen Beeinträchtigungen in die Regelschule inkludiert.
Doch bemängeln die Autorinnen, gestützt auf Bruno Achermann, Prozessberater für inklusive Entwicklungen in Bildung und Politik, dass das inklusive Bildungssystem noch weit von seinen Zielen entfernt ist. Für Beeinträchtigte sind viele Bildungsangebote noch nicht durchwegs zugänglich und betroffene Kinder werden noch zu oft Sonderschulen zugewiesen.
Als Leerstelle verorten die Autorinnen, dass im Lehrplan 21, trotz Inklusionsgebot, keine Lernziele formuliert sind, die sich explizit an Lernende mit Beeinträchtigungen richten. Im LP21 wird gefordert, dass alle Lernenden Vielfalt als Bereicherung erfahren und zu Gleichberechtigung mittragen. Es bleibt aber unklar, wie und in welchem Rahmen die Lernenden diese überfachliche Kompetenz erwerben können.
Die von den Autorinnen zitierte Forschung zur sozialen Integration zeigt auf, dass Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigungen und Lernschwierigkeiten ein grösseres Risiko haben, am Rande der Klasse zu stehen. Dieses Risiko könnte gemäss der Kontakthypothese durch grösseres Wissen über die Beeinträchtigungen, durch vermehrte gemeinsame, positive Erlebnisse oder durch das Hineinversetzen in Personen mit Beeinträchtigungen verringert werden.
Ziel dieser prämierten Masterarbeit ist, die Lernenden mit Unterrichtssequenzen auf spezifische Beeinträchtigungen zu sensibilisieren und Empathie den betroffenen Menschen gegenüber zu entwickeln. Zudem erhalten die Schülerinnen und Schüler Ideen, wie sie mit betroffenen Personen umgehen können.
Es ist den Autorinnen gelungen, zielführend, knapp, informativ und strukturiert Informationen zu den fokussierten Entwicklungsstörungen und Beeinträchtigungen darzustellen.
Eine erste Unterrichtseinheit zu Lese- und Rechtschreibschwächen wurde als Prototyp erstellt, von den Autorinnen selbst erprobt und mit Überarbeitungen angepasst. Analog zu diesem Prototyp wurden die weiteren sechs Unterrichtseinheiten entwickelt.
Das entstandene Entwicklungsprodukt überzeugt in jeder Hinsicht: Die Unterrichtseinheiten sind didaktisch durchdacht, lustvoll, ideenreich, theoretisch fundiert und bieten den Lehrpersonen wichtige Grundinformationen und didaktische Empfehlungen. Die einzelnen Sequenzen sind ohne grossen Aufwand im Unterricht einsetzbar und stehen auf einer Webseite zur Verfügung.
Obwohl nur eine Sequenz erprobt und evaluiert wurde, lassen sich die Ergebnisse auf die anderen Sequenzen übertragen, da diese alle in gleicher Art strukturiert und in vergleichbarer Qualität ausgearbeitet sind.
Evaluiert wurde die Unterrichtseinheit zu Lese- und Rechtschreibschwächen mit einer Befragung von 34 Schülerinnen und Schüler und zwei Lehrpersonen in der Rolle als Expertinnen.
Die meisten Schülerinnen und Schüler verfügten nach dem Durchlaufen der Unterrichtseinheit über mehr Fachwissen zur entsprechenden Beeinträchtigung, sie wussten, wie Betroffenen geholfen werden kann, welche schulischen Aufgaben ihnen Mühe bereiten und sie konnten sich besser in betroffene Personen hineinversetzen.
Die beiden Expertinnen waren begeistert von der Unterrichtseinheit und planen, weitere Sequenzen mit Fokus auf andere Beeinträchtigungen durchzuführen. Die Expertinnen waren davon überzeugt, dass sich ihre Schülerinnen und Schüler nun besser in die Betroffenen hineinversetzen können, weil sie mit den kreativ entwickelten Aufgabenarrangements selber erfahren haben, wie es ist, Lese- und Schreibaufgaben mit einer Beeinträchtigung zu bewältigen.
Dazu ein Aufgabenbeispiel aus der Unterrichtssequenz: "Beschreiben Sie in fünf Sätzen, was Sie am Wochenende gemacht haben. Schreiben Sie die Wörter rückwärts und vertauschen Sie immer das erste und letzte Wort eines Satzes."
Wir müssten Buchstabe für Buchstabe aufschreiben und unser Arbeitsgedächtnis enorm anstrengen, um noch zu wissen, was wir überhaupt schreiben. Vergleichbares erleben Lernende mit Rechtschreib-Schwierigkeiten.
Die drei Autorinnen haben die Dringlichkeit aufgegriffen, eine "Schule für alle" zu etablieren und dazu ein differenziert ausgearbeitetes und praxistaugliches Produkt entwickelt, welches diese grosse Herausforderung im Berufsfeld fokussiert.
Dieser innovative Beitrag zu mehr Akzeptanz und Verständnis von Lernenden ihren Mitschülerinnen und Mitschülern gegenüber, die von Lernbehinderungen und Beeinträchtigungen betroffen sind, verdient eine Prämierung.
Wir gratulieren den drei Studentinnen zu ihrer ausgezeichneten Masterarbeit und freuen uns, ihnen dafür im Namen der Masterarbeitskommission einen Preis übergeben zu dürfen.
Laudatio von Susanne Junger, Dozentin Institut Sekundarstufe I