Michelle Jutzi, was ist der Vorteil von GTS?
Michelle Jutzi: Kurz gesagt, stabile Beziehungen, stabile Umgebung, stabile Gruppen. Gerade Kindern, die viel Struktur brauchen und schlecht mit häufigen Orts- oder Betreuungspersonenwechseln umgehen können, tut die Konstanz gut. Die neuste Studie der PHBern zeigt, dass sich Kinder in GTS wohlfühlen, weil die Beziehungen zur Klasse, zu den Lehrpersonen wie auch zu den Betreuungspersonen im Vordergrund stehen. Sie erlernen ausserdem soziale Kompetenzen, weil sie den ganzen Tag zusammen verbringen und sich in unterschiedlichen Situationen erleben.
Die Stadt Bern fördert die Entwicklung von GTS, während sie anderswo im Dornröschenschlaf bleibt. Woran liegt das?
Die Nachfrage nach Betreuung ist vor allem in städtischen Gebieten hoch, wo häufig beide Elternteile berufstätig und auf einen hohen Betreuungsumfang angewiesen sind. Die Stadt Bern hat auf das wachsende Bedürfnis nach pädagogischer Betreuung am Mittag und Nachmittag reagiert und die Einführung von GTS in ihrer Bildungsstrategie 2016 ermöglicht. Die Projektphase ist abgeschlossen, und jeder Schulkreis der Stadt Bern kann ein solches Angebot erstellen, wenn er will.
GTS in gebundener Form (siehe Kasten) haben in der Schweiz immer noch Pioniercharakter. Die Schule ist traditionell in Vor- und Nachmittagsunterricht gegliedert, mit einer Pause am Mittag, in der die Kinder nach Hause gehen können. Die Betreuung nach der Schule war lange Zeit Privatsache. Dieses Modell änderte sich erst in den 1990er-Jahren, als mehr Frauen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie forderten und das Bedürfnis nach Mittagsverpflegung für schulpflichtige Kinder aufkam.
Frauen- und Elternvereine organisierten sich auf Freiwilligenbasis, und so entstanden die ersten Mittagstische und Betreuungsangebote. Diese Entwicklung verlief langsam und aufgrund föderalistischer Strukturen des Schweizer Bildungssystems unkoordiniert. Erst mit der "Interkantonalen Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule" (HarmoS) kamen die Blockzeiten und die Idee der Einführung von institutionellen Betreuungsangeboten auf. Die heute weitverbreitete schulergänzende Betreuung (in Bern Tagesschulen) ist modular aufgebaut und freiwillig, die Beiträge der Eltern sind einkommensabhängig. Mit GTS hat man in der Schweiz – ausser an Privatschulen – noch wenig Erfahrung.